Wirtschaft

Von wegen De-Risking Deutschland hängt weiter an Chinas Tropf

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Aus seiner Abhängigkeit von China kommt Deutschland so schnell nicht heraus.

Aus seiner Abhängigkeit von China kommt Deutschland so schnell nicht heraus.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Vor fast einem Jahr macht sich die Bundesregierung zum Ziel, Deutschland aus seiner Abhängigkeit von Importen aus China zu lösen. Zu sehen ist davon bisher wenig.

Spätestens die schmerzhaften Lieferkettenausfälle in der Corona-Pandemie hatten Deutschlands starke Abhängigkeit von Importen aus China offenbart. Seit immer wahrscheinlicher wurde, dass die Volksrepublik Taiwan angreift, will sich die Bundesregierung daraus befreien. Denn Sanktionen bis hin zu einem Wirtschaftskrieg wären gegen China noch weit folgenreicher als gegen Russland. Plötzlich sprachen alle von De-Risking: Bitte keine Entkopplung vom wichtigsten Handelspartner, wohl aber eine Reduzierung gefährlicher Abhängigkeiten. Doch fast ein Jahr später ist davon immer noch kaum etwas zu spüren.

So erklärt Kanzler Olaf Scholz auf seiner China-Reise, es gehe darum, die Zusammenarbeit "in allen Dimensionen" weiterzuentwickeln. Eine Woche später werden in Deutschland kurz nacheinander gleich vier Menschen festgenommen, die für die Volksrepublik spioniert haben sollen. Und auch die Handelsströme lassen keine strukturellen und damit anhaltenden Veränderungen erkennen, obwohl die Importe aus China insgesamt deutlich gesunken sind.

"Die deutschen Importabhängigkeiten von China sind in der Gesamtschau im Jahr 2023 trotz gewisser Veränderungen auf ähnlichem Niveau geblieben wie im Vorjahr", fasst IW-Ökonom Jürgen Matthes in einer aktuellen Analyse zusammen, die ntv.de vorliegt. Der Leiter des Bereichs Internationale Wirtschaftspolitik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft hat anhand industrienaher Produktgruppen untersucht, ob sich bei den Importen ein De-Risking erkennen lässt. Sein ernüchterndes Ergebnis: höchstens in Ansätzen. Ein klares strukturelles De-Risking sei nicht ersichtlich.

Nur Sondereffekte verbessern die Bilanz

Die Importe von Produkten, bei denen China mindestens die Hälfte des Einfuhrwerts ausmachte, also mit einer hohen Abhängigkeit, sanken demnach im vergangenen Jahr zwar. Das sei aber vor allem auf einmalige Sondereffekte zurückzuführen. So habe sich der sehr starke Einfuhranstieg bei einem einzelnen chemischen Produkt aus dem Jahr 2022 im vergangenen Jahr wieder weitgehend normalisiert. Der zweite Sondereffekt: 2022 waren aufgrund von Lieferengpässen Lager für computernahe Produkte aufgebaut worden, die im vergangenen Jahr wieder geleert wurden.

Auch die Zahl der Produktgruppen mit potenziell kritischen Abhängigkeiten, die also möglicherweise unverzichtbar und nicht kurzfristig ersetzbar sind, ging der Analyse zufolge nur leicht zurück: von 213 auf 200. Zwar fielen demnach 73 Produktgruppen aus der Liste, weil der jeweilige Einfuhranteil aus China auf unter die Hälfte sank. Gleichzeitig kamen aber fast genauso viele Produktgruppen neu auf die Liste, auf der zum Beispiel Medikamente, Seltenerdmetalle oder Laptops stehen. Außerdem scheint die Zahl der Produktgruppen mit hoher Abhängigkeit seit 2013 deutlich zugenommen zu haben. "Auch dies belegt, dass sich das Problem der potenziell kritischen Importabhängigkeiten von China in den letzten Jahren im Trend eher verschärft hat", schreibt der Studienautor.

Am größten ist die Importabhängigkeit bei chemischen Produkten. Mit großem Abstand folgen elektrische und elektronische Erzeugnisse wie Laptops und Zubehör oder auch Solarzellen und Batterien. Platz drei belegen gleichauf Maschinenbau-Produkte sowie Rohstoffe und Mineralien, darunter sechs Seltenerdmetalle.

Neue Lieferanten beziehen selbst aus China

Wie Matthes betont, lassen sich auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten nur mögliche Gefahrenstellen ermitteln. Nötig für einen Abbau der Abhängigkeiten wäre jedoch, die tatsächlichen kritischen Punkte zu kennen: welche Produkte unverzichtbar und nicht kurzfristig ersetzbar sind - plus die mögliche Schadenshöhe für die Gesamtwirtschaft. Der Ökonom plädiert dafür, dass die Unternehmen dem Staat diese Informationen - streng vertraulich - zugänglich machen.

Selbst wenn dieses Wissen weitergegeben würde, bleibt allerdings ein Grundproblem. Sich aus der Abhängigkeit zu lösen, ist ohnehin nur bedingt möglich und kostet Zeit, viel Zeit. Bei Produkten, die inzwischen aus anderen asiatischen Ländern bezogen werden, kaufen diese wiederum Zwischenprodukte in China ein. "Das ist das große Problem beim Lösen von China: Die neuen Lieferanten beziehen selbst aus China", hatte Klaus-Jürgen Gern, der am Institut für Weltwirtschaft (IFW) in Kiel die internationale Konjunkturprognose leitet, im Gespräch mit ntv.de erklärt.

Auch die riesige Menge von Produkten aus China, das sich auf Industrie und Fertigung spezialisiert hat, lässt sich nicht einfach so ersetzen. Weitere Produktionskapazitäten aufzubauen, dauert Gern zufolge eher Jahrzehnte als wenige Jahre. Hinzu kommt, dass an alternativen Standorten neue Probleme warten, wie Regulierungen oder Korruption. "Es gibt Gründe, warum eine Verlagerung nicht stattgefunden hat", sagt Gern. Politische Überlegungen erschweren die Auswahl zusätzlich. Zwar bieten zum Beispiel manche afrikanische Länder Potenzial für zusätzliche Produktion, sind aber instabil oder autoritär.

Die neuralgischen Punkte müssten erst verraten werden

China dominiert die Produktion auch wegen seiner Rohstoffe und deren Aufarbeitung. Hinzu kommen andere Umweltstandards. Länder wie Deutschland können sich wesentliche Produktionsschritte wegen deren Umweltbelastung nicht mehr vorstellen, etwa die Weiterverarbeitung seltener Erden. Und so übernehmen die Länder die Fertigung, in denen die Politik die Umweltbelastung in Kauf nimmt.

Würde trotzdem Produktion stärker aus China in andere Länder verlagert, entstünden darüber hinaus Zusatzkosten - die bei den Endkunden und Kapitalgebern durchgesetzt werden müssten. Das dürfte sich allerdings trotzdem lohnen. Denn sich nicht vorzubereiten, ist womöglich noch teurer, wie etwa die Abhängigkeit von Russlands Energie bis zu dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt hat. "Wir sollten moderate Preissteigerungen in Kauf nehmen, um gewappnet zu sein", sagt Gern.

Um für einen möglichen Handelskrieg mit China gewappnet zu sein, fordert auch Gern, die neuralgischen Punkte zu analysieren. Das geht allerdings nur mithilfe der betroffenen deutschen Unternehmen. In Matthes' Augen hat der Staat wegen des möglicherweise "erheblichen gesamtwirtschaftlichen Schadenspotenzials" ein berechtigtes Interesse an den Informationen, die für eine De-Risking-Risikoanalyse nötig wären. "Es geht hier um den Schutz der nationalen wirtschaftlichen Sicherheit, hinter der das Recht der Firmen auf Geheimhaltung zurückzustehen hat", schreibt der Ökonom. Die Kehrseite, wenn Unternehmen ihre tatsächlichen Abhängigkeiten von China selbst nur einer staatlichen Taskforce offenlegen würden: Je mehr Mitwisser, desto mehr potenzielle Angriffspunkte für Spionage.

Quelle: ntv.de

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