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Energie bündeln Mit weniger Arbeit trotzdem 100 Prozent Leistung schaffen

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Wer sich chronisch überfordert fühlt, sollte handeln, bevor es zu spät ist

Wer sich chronisch überfordert fühlt, sollte handeln, bevor es zu spät ist

(Foto: IMAGO / Zoonar II)

Burnout ist nach wie vor ein riesiges Thema. Viele Menschen fühlen sich überfordert oder auf dem besten Weg dahin. Im Interview erklärt die Autorin Martha Dudzinski, wie man mit weniger Kraftaufwand trotzdem den beruflichen und privaten Anforderungen im Leben gerecht wird.

Viele Mails, aufwendige Projekte, langatmige Meetings - diese und viele weitere stressende Faktoren führen bei nicht wenigen Menschen zu einer anhaltenden Überforderung im Beruf. Darunter leidet dann nicht nur die Motivation im Job, sondern auch das Privatleben. Martha Dudzinski, selbst ehemalige High-Performerin, wurde durch ihre Long-Covid-Erkrankung radikal dazu gezwungen, mit ihrer Energie besser zu haushalten. Deswegen hat sie verschiedene Methoden für sich entdeckt und auch selbst entwickelt, wie man trotz weniger Arbeit 100 Prozent Leistung erbringen kann. Wie das gelingt, zeigt sie in ihrem neuen Buch "Konsequent 60 Prozent: Wie du mit weniger Arbeit mehr schaffst". Im Interview mit ntv.de gibt sie bereits einige hilfreiche Tipps für alle, die sich ebenfalls häufig überlastet fühlen.

ntv.de: Warum sind es in Ihrem Buch ausgerechnet 60 Prozent Arbeit, mit denen man 100 Prozent schafft und nicht etwa 50 oder 70 Prozent?

Martha Dudzinski: Die Sache mit den 60 Prozent habe ich mir nicht ausgedacht oder ausgesucht, das hat ja mein Körper für mich beschlossen. Ich habe nämlich Long Covid. Und das heißt, dass ich die Kraft, die ich vor meiner Covid-Infektion hatte, nicht mehr habe und dementsprechend kam ich an einen Punkt, wo ich gemerkt habe: Es ist jetzt nicht so, dass ich nur noch halb so viel machen kann wie vorher, aber zwei Drittel sind es auch nicht. Ich bin quasi genau in der Mitte davon angelangt. Dadurch wurde ich gezwungen, mit weniger Arbeit, weniger Kraft und weniger Zeit trotzdem mein Leben weiterhin zu bewältigen.

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Aber das Buch ist ja nicht nur für Long-Covid-Betroffene.

Nein, wir fühlen uns ja alle überfordert. Dazu muss man nicht krank sein. Wir haben alle verschiedene Gründe: Bei manchen sind es vielleicht die Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Was wir alle gemeinsam haben, ist, dass wir nicht mehr hinterherkommen.

Es gibt viele Tipps und Methoden für das bessere Zeitmanagement. Welche halten Sie für ungeeignet?

Das Problem ist, dass die meisten Ratgeber von weißen Männern aus den USA geschrieben werden. Die berücksichtigen überhaupt nicht, dass der Rest der Welt andere Probleme hat. Innerhalb unserer Gesellschaft haben die Leute verschiedene Lebensbedingungen. In ihren Ratgebern wird zum Beispiel eine Morgenroutine mit 5 Uhr morgens aufstehen empfohlen. Man soll erst mal Yoga-Übungen und Meditation machen oder Podcasts hören. Das ist natürlich für die meisten Leute völlig lebensfremd, weil sie sich entweder um ihre Kinder kümmern müssen, pflegebedürftige Angehörige haben oder vielleicht auch im Schichtdienst arbeiten.

Sie reden im Buch von verschiedenen Zeitmanagement-Methoden. Können Sie Batching und Time Boxing erklären?

Das Batching funktioniert relativ intuitiv. Wir entscheiden uns dazu, ähnliche Aufgaben - gerade wenn es Routineaufgaben sind - gebündelt zu erledigen. Wir kümmern uns ums E-Mail-Postfach und beantworten in einem Wisch unsere E-Mails. Wir bringen unsere Briefe nicht einzeln weg, sondern gesammelt zur Post.

Time Boxing mache ich aktuell unfreiwillig. Die Idee ist, sich für eine bestimmte Aufgabe bewusst ein Zeitfenster zu schaffen. Ich kann zum Beispiel immer nur ein bis maximal zwei Stunden am Stück arbeiten. Das ist quasi mein von meinem Körper erzwungenes Time Boxing. In den zwei Stunden muss alles erledigt werden, bevor ich mich wieder hinlegen kann oder eher muss. Diese Methode zwingt auch, zu schauen, was jetzt wirklich wichtig ist. Außerdem hat man so kein schlechtes Gewissen mehr, wenn Aufgaben vorher liegen bleiben, weil man weiß, dass die Steuererklärung oder ein anderes Projekt zu dieser Zeit erledigt wird. Man kann das Time Boxing auch bei privaten Themen machen. Man hält sich beispielsweise einen Abend für die Freundinnen oder die Familie frei.

Im Buch erwähnen Sie auch die ALPEN-Methode als ein Tool für effektives Zeitmanagement. Was steckt dahinter?

Hierbei geht es darum, dass man systematisch an die eigenen Aufgaben herangeht und genau plant: Was will ich machen und wie lange dauert das? Man sollte vor allem realistisch mit sich selber umgehen und sich fragen, wie lange das dauern wird. Im Nachhinein schaut man immer, wie viel man jetzt tatsächlich geschafft hat und wie lange das wirklich gedauert hat. So kann man jeden Tag ein bisschen realistischer planen, und für sich herausfinden, wie man am nächsten Tag die eigenen Aufgaben angehen möchte.

Was kann man tun, wenn man Aufgaben immer wieder aufschiebt und dann später in Panik gerät?

Ich persönlich halte ja nichts vom Konzept der Aufschieberitis, weil ich glaube, dass unsere Körper uns mit diesem Aufschieben-Trieb schützen will. Oft machen wir uns dann aber unnötig Druck und haben ein schlechtes Gewissen. Das ist dann so ein Teufelskreis: Je mehr wir uns Vorwürfe machen, dass wir es nicht erledigt haben, desto mehr Bauchweh kriegen wir und desto mehr Kraft geht ja dann auch dafür drauf. Am Ende hat man dann erst recht keine Kraft für die Aufgabe, weil man die gesamte Kraft dafür aufgebraucht hat, sich selber Vorwürfe zu machen. Ich glaube tatsächlich, dass das, was am besten hilft, ist, sich damit auseinanderzusetzen, wie viel Druck wir uns auch selbst machen, und auch so im Vorfeld einfach netter zu uns selbst zu sein. Die Kraft, die man aufbringt für das schlechte Gewissen und für die Vorwürfe, die man sich macht, kann man für das, was man eigentlich erledigen muss, einsetzen.

Wie sollte man Pausen idealerweise gestalten?

Das ist eine Sache, die jede Person für sich selbst herausfinden muss und sich da nichts von außen einreden sollte. Was erholt mich wirklich? Seit ich diese Long-Covid-Geschichte habe, ist das Einzige, was bei mir wirklich hilft, mich ins Bett zu legen und mir irgendwelche Comedy-Serien anzuschauen, die ich schon tausend Mal gesehen habe. Alles andere stresst mich. Andere gehen spazieren oder zocken Playstation. Man sollte also ein bisschen experimentieren und ehrlich mit sich selbst sein, was einen entspannt und was nicht.

Wie lang oder kurz sollten denn die Pausen sein?

Da gibt es keine einzig richtige Antwort, weil ich glaube, dass jede Person andere Bedingungen hat. Ich bin krank und brauche ewig lange Pausen. Bei mir hilft es nicht, mal fünf Minuten zwischendrin zu verschnaufen. Außerdem kann das ja auch tagesformabhängig sein. Man hat vielleicht schlecht geschlafen oder seine Tage. An einem Tag kann es reichen, für eine halbe Stunde Mittagspause zu machen und an anderen Tagen braucht man längere Pausen. Pausen wurden ja auch gewerkschaftlich durchgesetzt. Kurz vor Feierabend ist die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsunfalls am höchsten. Oft nutzen wir Pausen nicht einmal, um uns wirklich zu erholen, sondern um den Verpflichtungen nachzugehen, für die wir nicht bezahlt werden, wie zum Beispiel einkaufen oder zur Post gehen. Wenn man zu viel von seinem Körper verlangt, dann muss man ihm auch Pausen einräumen - sonst holt er sich die irgendwann mit Gewalt in Form von Krankheiten.

Was sollte man tun, wenn man vor einem Berg an Aufgaben steht, die nun mal erledigt werden müssen?

Martha Dudzinski ist auch Gründerin der SWANS-Initiative, die jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte und Women of Color den Berufseinstieg erleichtern will.

Martha Dudzinski ist auch Gründerin der SWANS-Initiative, die jungen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte und Women of Color den Berufseinstieg erleichtern will.

(Foto: Martha Dudzinski )

Es geht nicht darum, dass ich einfach künstlich die Zeit verknappe, in der ich gleich viel erledige. Deswegen sollte man sich die Aufgaben genau anschauen und priorisieren. In meinem Buch stelle ich drei Grundregeln auf, bei denen wir uns erst einmal anschauen, was wir für Aufgaben haben. Es geht darum, welche Aufgaben uns Kraft bringen und welche uns Kraft nehmen. Was ist für uns besonders anstrengend? Was fällt uns besonders leicht? Als Nächstes sollte man sich anschauen, warum die Aufgaben überhaupt auf dem eigenen Tisch gelandet sind. Sind das wirklich meine Aufgaben? Hat meine Führungskraft mir das aufgetragen, weil das mein Job ist? Mache ich das für jemand anderen, weil ich die Person gerne mag oder weil ich ihr helfen möchte? Gefällt mir die Aufgabe? Oder sind das Aufgaben, die eigentlich überhaupt gar nichts bei mir zu suchen haben?

Man sollte erst einmal schauen, wie es mit den Kraftreserven aussieht und wie sich welche Aufgabe auf den eigenen Energiehaushalt auswirkt. Außerdem sollte man Nein sagen können. Das ist gerade bei Frauen oder auch bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte ein großes Thema. Ihnen wird beigebracht, höflich und nett sein zu müssen. Nein sagen kann man aber lernen. Man kann das auch nett formulieren, indem man zum Beispiel sagt: "Total gerne, was soll ich stattdessen liegen lassen?"

Im Buch empfehlen Sie Ihr eigenes Konzept der Martha-Magenkrampf-Matrix. Können Sie das kurz erklären?

In der Martha-Magenkrampf-Matrix gibt es - ähnlich wie bei der Eisenhower-Matrix - vier Boxen. In der ersten Box sind die Sachen, die superschnell gehen, egal ob sie wichtig sind oder nicht. Das mache ich zuerst. Dadurch habe ich schon einmal kleine Erfolgserlebnisse. In die Box B kommen die Sachen, die ich gerne erledige. So schaffe ich bewusst Raum für die Sachen, die ich gerne mache und die mir Freude bereiten. In die Box C kommt all das hinein, was aufwendig ist und Konzentration erfordert. In die Box D kommen alle Aufgaben, die mir Bauchschmerzen bereiten.

Die sortiere ich nicht aus, so wie es bei der Eisenhower-Matrix gemacht wird, sondern D ist die offizielle Warteschleife. Das muss erst mal warten. Je nachdem, wie es mir jeweils geht und wie ich mit den anderen Themen vorankomme, schaue ich immer wieder mal kurz auf die Idee und gucke, ob es mir immer noch Angst macht. Solange ich Bauchweh allein beim Gedanken an die Aufgabe bekomme, muss sie halt warten.

Das ist doch aber nicht grenzenlos machbar. Auch die Sachen, die Bauchweh bereiten, haben irgendwann eine Deadline.

Ja. Die Idee ist, sich bewusst zu erlauben, manche Sachen warten zu lassen, während man sich um die Sachen kümmert, die schnell gehen und Freude bereiten. Man sollte sich immer fragen: "Geht es mir vielleicht ein bisschen besser?" Wenn der Rest abgearbeitet ist, kann man sich vorsichtig daranwagen. Dann aber auch wirklich gnädig mit sich selbst sein. Wenn es nicht geht, geht es halt nicht.

Perfektionismus ist oft ein Grund, warum viele Menschen nicht von der Arbeit loskommen. Andererseits will man auch Leistung erbringen. Wie schafft man es, dieses Problem in den Griff zu bekommen?

Perfektionismus betrifft erst einmal manche Bevölkerungsgruppen mehr als andere. Gerade Frauen neigen besonders dazu, perfektionistisch zu sein, genauso wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder aus anderen marginalisierten Gruppen. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass sie mit anderen Messlatten gemessen werden. Bei Männern wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die das schon können. Bei einer Frau heißt es dann: "Wir brauchen aber eine qualifizierte Frau", weil bei Frauen nicht selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass sie qualifiziert sind. Das hat dann einen Einfluss darauf, wie Frauen arbeiten. Sie glauben, immer dreimal so viel machen zu müssen wie Männer.

Der Tipp, der für mich selber sehr gut funktioniert hat, ist, mit kritischen, offenen Augen durchs Arbeitsleben zu gehen und sich mal anzuschauen, was die anderen Leute abliefern. Gerade die Männer. Oft redet eine Person viel, aber es steckt nichts dahinter. Oft ist die Messlatte ganz schön weit unten. Da kann man sich sagen: "Das, was ich hier gerade gemacht habe, ist zwar nicht das Perfekteste - aber es ist schon mal besser als das, was die anderen gemacht haben."

Was halten Sie von der Viertagewoche?

Ich persönlich halte davon sehr viel, das ist ja quasi ein Schritt Richtung 60 Prozent. Es geht ja nicht darum, dass man das gleiche Arbeitspensum in weniger Zeit erledigt. Die Digitalisierung kann uns ja auch etwas abnehmen. Außerdem verbringen viele Menschen die Zeit auf der Arbeit nicht komplett mit Arbeit. Sie sitzen sie nur ab und diese Zeiträume lassen sich häufig gebündelt zu einem Tag mehr frei in der Woche umfunktionieren. Und diejenigen, bei denen schon fünf Tage nicht ausreichen, weil sie so viel zu tun haben, können dann auch kritisch überprüfen, wie das gehen soll, ohne langfristig auszufallen. Die ständige Überlastung macht immer mehr Menschen krank, gerade im Pflegebereich. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen müssen sich überlegen, wie sie attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen, sodass sich die Leute nicht kaputtackern müssen und ausfallen oder kündigen. Eine solche Maßnahme ist zum Beispiel die Viertagewoche.

Mit Martha Dudzinski sprach Isabel Michael

Quelle: ntv.de

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