Startup

Die Gründerin im Bundestag "In der SPD gab es definitiv Neid auf meine Karriere"

Verena Hubertz hat nach ihrem Studium die Koch-App Kitchen Stories gegründet. 2017 schaute sogar Apple-Chef Tim Cook vorbei, um mit ihr zu kochen. 2020 entschied sie sich gegen ihr Startup und für die Politik. Seit Dezember 2021 ist sie eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.

Verena Hubertz hat nach ihrem Studium die Koch-App Kitchen Stories gegründet. 2017 schaute sogar Apple-Chef Tim Cook vorbei, um mit ihr zu kochen. 2020 entschied sie sich gegen ihr Startup und für die Politik. Seit Dezember 2021 ist sie eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.

(Foto: Linda Blatzek)

SPD statt Startup. Bundestag statt Firmen-Office. Jour fixe mit Robert Habeck statt der Mitgründerin. So sieht der Alltag von Verena Hubertz aus. Die Gründerin hat ihr Startup-Leben hinter sich gelassen und ist in den Bundestag eingezogen. Im deutschen Parlament sitzen insgesamt 736 Abgeordnete, doch nur 51 sind Unternehmer. Als Gründerin ist Hubertz die absolute Exotin. "Deutschland ist in dem Bereich nicht wirklich durchlässig", kritisiert sie im ntv-Podcast "Startup - jetzt ganz ehrlich". Die stellvertretende Fraktionschefin der SPD schlägt sich außerdem auf die Seite von Christian Lindner und will Mehrarbeit attraktiver machen. Ist es mit der steuerlichen Begünstigung von Überstunden getan? "Mein Vater war Schlosser. Für ihn muss die Lösung auch funktionieren", sagt Hubertz.

ntv.de: Sie waren erfolgreiche Gründerin, jetzt machen Sie Politik. Warum tun Sie sich das an?

Verena Hubertz: Weil ich immer viel über Politik gemeckert und irgendwann gesagt habe: Nicht nur meckern, sondern mitmachen. Ich bin auch schon seit 2010 SPD-Mitglied, weil ich in meiner Schul- und Studienzeit bei Burger King gearbeitet, aber keinen Mindestlohn bekommen habe. Deutschland war damals fast das einzige Land in Europa ohne gesetzlichen Mindestlohn.

Als Unternehmerin ist man finanziell unabhängiger, selbstbestimmter und wird weniger kritisiert.

Kritisiert wird man in beiden Berufen, aber natürlich: Politik exponiert einen doch sehr öffentlich. Wenn ich bei meinem Startup einen Fehler mache, guckt die Startup-Presse drauf. Das ist im parlamentarischen Raum definitiv anders. Aber in meiner Brust haben schon immer zwei Herzen geschlagen.

Sie haben steile Politik-Karriere gemacht. Gab es Neid innerhalb der SPD?

Definitiv. Das Vorurteil war: Kommt jetzt die Unternehmerin mit den High Heels? In der Politik stehen durchaus alle erst einmal in gewisser Konkurrenz zueinander. Man muss jahrelang dabei sein und sich weiterentwickeln, bevor man mehr Verantwortung übernimmt. Klar haben einige verständlicherweise gefragt: warum nicht ich?

Was ist der größte Unterschied zwischen Politik und Unternehmertum?

Demokratie ist anstrengend, aber das Beste, was wir haben. Ich muss viele Menschen finden, die dasselbe umsetzen möchten wie ich. Im Unternehmertum muss ich nicht stetig Mehrheiten besorgen.

Im Bundestag sind Unternehmerinnen und Unternehmer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung extrem unterrepräsentiert. Woran liegt das?

Deutschland ist in dem Bereich nicht wirklich durchlässig. Als ich aufgestellt wurde, befand sich die SPD mit 14 Prozent in der Krise. Also wollte man neue Wege gehen und hat nur deswegen ein offenes Casting veranstaltet. Politik braucht auch sehr viel Zeit. Als wir unser Startup gegründet haben, haben wir die ersten Jahre bis nachts um zwei oder drei Uhr gearbeitet. Du kannst genauso wenig um 19 Uhr im Ortsverein sein wie Familieneltern. Deswegen sind Menschen, die mitten im Leben stehen, oftmals unterrepräsentiert. Politik sollte sich öffnen und attraktiver für Menschen werden, die ihr Leben nicht komplett umbauen können.

Wie macht man das? Egal, ob für junge Leute oder für Leute aus der Mitte der Gesellschaft.

Ein paar Politiker haben gerade verkündet, dass sie nicht mehr für den Bundestag kandidieren werden, gerade weil der Job nicht mit einer gleichberechtigten Elternschaft vereinbar ist. Das andere Problem ist das "Always-On"-Sein. Es gibt keine politikfreien Zeiten. Selbst im Urlaub gibt es Abstimmungen, Unterlagen, Gesetzesverhandlungen. Es ist wie im Unternehmen: Kultureller Wandel kommt nicht von heute auf morgen, sondern in Schritten. Das ist die Realität, in der wir uns befinden. Aber es tut sich einiges.

Realität ist auch die scharfe Kritik der Unternehmerinnen und Unternehmer. In einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer geben sie der Regierung eine Note von 4,8 - das ist so schlecht wie noch nie. Können Sie die Unzufriedenheit nachvollziehen?

Jeder hat das Recht, eine Bewertung vorzunehmen. Manchmal wird aber alles auf die Ampel geschoben, was sich in den letzten Jahrzehnten aufgestaut hat. Bürokratie zum Beispiel, der Rückstand bei der Digitalisierung oder der Ausbau der Erneuerbaren. Dann kommt die Krise, der Krieg, der nächste Krieg. Wir agieren nicht im luftleeren Raum. Trotzdem haben wir binnen 100 Tagen ein LNG-Terminal auf die Beine gestellt, damit keine Energie-Notlage eintritt. Ich wünsche mir mehr Differenzierung und Miteinander am Tisch, um zu überlegen: Wie kommen wir gemeinsam hier raus? Nach dieser sehr öffentlichen Kritik gab es auch ein Treffen von Kanzler Olaf Scholz mit den großen Wirtschaftsverbänden, bei dem konkrete Handlungen und Arbeitsgruppen vereinbart wurden. Das ist der Spirit, den wir brauchen.

Viele Unternehmer sind auch mit dem Bürgergeld unzufrieden. Sie beklagen, dass es sich für einige Menschen kaum noch lohnen würde zu arbeiten.

Das Bürgergeld hat ein großes Problem: Die Leute denken, das ist eine Hängematte. So ist es nicht. Jeder, der arbeiten kann, muss das auch tun. Mit dem Bürgergeld wird aber genau geguckt, was man kann, was einen interessiert und wo man keinen Abschluss hat. Der wird dann nachgeholt und die Leute hoffentlich dauerhaft in Arbeit gebracht. Für Totalverweigerer gibt es eine harte Kante. Wer ohne Grund keinen Job annimmt, kriegt auch kein Geld mehr. Aber wir müssen definitiv genau schauen, wie wir den Lohnabstand von Nichtarbeit zu Mindestlohn vergrößern.

Finanzminister Christian Lindner möchte den Druck auf Bürgergeld-Bezieher erhöhen und Überstunden steuerlich begünstigen. Ist das der Weg aus der Krise?

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Es ist Realität, dass viele Menschen Überstunden leisten und nicht dafür bezahlt werden. Wir befinden uns auch in einer Phase, in der Fachkräfte rar sind und wir uns überlegen müssen, wie Menschen mehr arbeiten. Es gibt Frauen in Teilzeit, die das nicht können, weil die Kita zu früh schließt. Ich sehe Rentner, die mich beim Joggen überholen. Ich frage mich dann auch: Könnten die nicht ein wenig länger arbeiten? Aber die Antwort darf nicht sein, dass alle pauschal mehr arbeiten sollen. Länger Arbeiten muss attraktiver werden und ohne Rentenkürzungen möglich sein. Die Debatte ist richtig, aber sie muss differenziert geführt werden, sonst geht es Leuten mit einem Bürojob gut und Leuten, die körperlich hart arbeiten, sind die Gelackmeierten. Mein Vater war Schlosser. Für ihn muss die Lösung auch funktionieren.

Mit Verena Hubertz sprach Janna Linke. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast "Startup - jetzt ganz ehrlich" anhören.

Startup - Jetzt ganz ehrlich

Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade der Startup-Szene? Janna Linke weiß es. Im Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich" wirft sie jede Woche einen Blick hinter die Kulissen der Gründerszene und spricht über Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Sie ordnet ein, hakt nach. Persönlich, ehrlich und mit einem echten Mehrwert. Dafür spricht sie mit Persönlichkeiten der Szene, Expertinnen und Experten und gibt euch den absoluten Rundumblick. Gemeinsam taucht ihr tief ein in die Startup-Welt.

"Startup - jetzt ganz ehrlich" - der Podcast mit Janna Linke. Auf RTL+ und überall, wo es Podcasts gibt: Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Quelle: ntv.de

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