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Kein Geld für Trainer Stolze Skisprungnation Finnland stürzt in große Not

Niko Kytösaho und das finnische Skispringen stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Niko Kytösaho und das finnische Skispringen stehen vor einer ungewissen Zukunft.

(Foto: IMAGO/Newspix24)

Trotz einiger Achtungserfolge im zurückliegenden Winter spitzt sich die finanzielle Situation im finnischen Skispringen immer weiter zu. Aus einem internen Schreiben, das an die Öffentlichkeit gelangt ist, geht große Ungewissheit hervor.

Wer an die Skisprungnation Finnland denkt, denkt an großartige Flugkünstler, die oft zwischen Genie und Wahnsinn schwebten. An Namen wie den viel zu früh verstorbenen Matti Nykänen, der lange Zeit den Rekord für die meisten Weltcupsiege (46) hielt, oder an Vierschanzentournee-Gigant Janne Ahonen, der auch im Moment des größten Erfolges keine Miene verzog.

Doch spätestens seit dem zweiten und dritten gescheiterten Comeback Ahonens hat Finnland den Status als Top-Nation im Skispringen verloren. Die Anzahl der Weltklasse-Springer und auch der Podestplätze wurde immer geringer. Seit dem eher zufälligen Sieg von Anssi Koivuranta am 4. Januar 2014 in Innsbruck sucht man die weiß-blaue Flagge in der Podiumsstatistik bei den Männern vergeblich.

Nach dürren Jahren gab es im zurückliegenden Winter aber zumindest einige Achtungserfolge: Niko Kytösaho belegte einen überraschenden siebten Rang bei der Skiflug-WM am Kulm und sprang in Willingen (Neunter) und Oslo (Siebter) auch im Weltcup erstmals unter die Top Ten, dazu fuhr er mit Rang 30 seine beste Platzierung im Gesamtweltcup ein. Noch besser lief es bei Jenny Rautionaho: Sie sprang sogar neunmal unter die besten zehn, schaffte mit Rang zwei in Sapporo erstmals den Sprung aufs Podest und beendete die Saison als Zwölfte.

Skiverband darf keine neuen Verpflichtungen eingehen

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Doch die kleinen sportlichen Ausrufezeichen konnten das Defizit in der Kasse des Skiverbandes nicht ausgleichen, wie nun durch ein geleaktes internes Schreiben hervorgeht, das auch sport.de vorliegt. "Wie Sie sicher wissen, sind die Finanzen des Skiverbandes nicht in bester Verfassung, weshalb der Vorstand [...] leider beschließen musste, dass der Skiverband vorerst keine neuen Verpflichtungen, wie zum Beispiel Arbeitsverträge, eingehen kann", schrieb der Vizepräsident des Verbands Lauri Kettunen.

Im Klartext: Die Verträge aller Trainer, die beim Skiverband angestellt sind, werden nicht verlängert. Die beiden Skisprung-Nationaltrainer Lauri Hakola (Männer), Ossi-Pekka Valta (Frauen), Kimmo Savolainen (B-Team und Nachwuchstrainer Skispringen), sowie Antti Kuisma (Cheftrainer Nordische Kombination) und Lauri Asikainen (Sprungtrainer Nordische Kombination) stehen somit ab dem 1. Mai ohne Job da.

"Die Aktivitäten werden sicherlich in der nächsten Wintersaison fortgesetzt, aber im Moment ist noch nicht bekannt, wann neue Verträge möglich sein werden", so Kettunen weiter. Diese Ungewissheit betrifft jedoch nicht allein die Trainer, sondern auch die Athletinnen und Athleten. Die Vorbereitung auf den anstehenden Winter soll genau dann starten, wenn sie ohne Trainer dastehen – und das keine zwölf Monate vor dem nächsten Großereignis, der Nordischen Ski-WM in Trondheim.

Bitterer Appell vom Vize-Verbandschef

"In dieser Situation sollte jeder anfangen, Pläne und Vorkehrungen zu treffen, um die Kontinuität seiner eigenen Aktivitäten oder seines Lebensunterhalts zu gewährleisten", ruft der Vize-Verbandschef deswegen in dem Schreiben auf. Im weiteren Verlauf bittet er die Mitarbeitenden und Athletinnen und Athleten um Mithilfe - intern, aber auch in der Wirkung nach außen: "Für die Kontinuität des Sports, einschließlich der Aufrechterhaltung und Erneuerung der Bedingungen, ist es wichtig, dass wir selbst die Zukunft unseres Sports nicht unnötig infrage stellen. Alle Vorschläge, Ideen und Fragen sind willkommen."

Was sich wie eine Bankrotterklärung liest, bestätigte er im Gespräch mit dem Rundfunk "YLE" mit den deutlichen Worten: "Es ist offensichtlich, dass die Dinge seit Langem viel schlimmer sind, als es der breiten Öffentlichkeit erscheinen mag." Einen mehr als dezenten Hinweis darauf gab vor vier Wochen ausgerechnet jener Niko Kytösaho, der im Winter respektable Resultate ablieferte: Er ließ wissen, die Saisonvorbereitung auf eigene Faust anzugehen und sich von seinem Onkel Pekka trainieren zu lassen. Das Vertrauen in die Verbandsstruktur und die Arbeit der Trainer sei inzwischen gänzlich verschwunden, sagte der 24-Jährige, was angesichts der vielen Personalrochaden im Trainer- und Betreuerstab in den letzten Jahren wenig überraschend ist.

Finnischer Verband kann nicht investieren

In den letzten zehn Jahren gab es allein auf dem Cheftrainerstuhl vier Wechsel. Noch-Trainer Hakola übernahm das Amt vor einem Jahr bereits zum zweiten Mal, nachdem er zuvor zwei Mal Assistenztrainer war. So richtig bewirken konnte er weder in der einen noch in der anderen Rolle etwas. Teilweise blieb er dem Trainerturm während der Weltcupspringen sogar fern, sodass plötzlich die Teilzeitassistenten Kytösaho und Co. abwinkten.

Rautionaho und Teamkollegin Julia Kykkänen, die das kleine Frauen-Nationalteam bilden, reisten weite Teile des Winters allein mit Cheftrainer Ossi-Pekka Valta, weil für mehr Teammitglieder schlicht die finanziellen Mittel fehlten. Zwar war auch Kykkänens Vater Kimmo stets mit an Bord, dessen Reisen wurden jedoch von seiner Tochter bezahlt. Dabei sind zumindest Physiotherapeuten auch im Frauen-Skispringen ein elementarer Bestandteil nahezu jeden Teams und gerade in Anbetracht von Rautionahos Verletzungshistorie von drei Kreuzbandrissen eine sinnvolle Investition. Ihre Agentin Jenni Ahonen sucht bereits nach einem Privatsponsor, der die Werbefläche auf ihren Sprungski bei Wettkämpfen innerhalb Finnlands nutzen möchte.

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sport.de weiß zudem: Auch die Qualität der Sprunganzüge für die Athletinnen und Athleten ließ im vergangenen Winter zunehmend nach, was mit dem Abgang von Fachleuten wie dem Franzosen Frédéric Zoz zu tun hat. Für neue Anzüge oder Materialexperten von Zoz' Qualität war ebenfalls kein Geld da. Zu allem Unglück kam jüngst noch heraus, dass die Normalschanze in Kuopio erhebliche Mängel im Bereich des Anlaufturms aufweist. Eine der wichtigsten Trainingsschanzen des Landes ist nun bis auf Weiteres wegen Einsturzgefahr gesperrt und soll im April und Juni weiter inspiziert werden. Eine Sanierung würde rund 750.000 Euro kosten.

Dass diese dringend notwendigen Investitionen bald getätigt werden, ist angesichts der dramatischen finanziellen Situation des finnischen Skiverbandes unwahrscheinlicher denn je. Es bedarf schon eines Wunders, damit sich die Vorzeichen für die WM-Saison in eine positive Richtung wenden. Finnland hat seine Flugkünstler nie wirklich verloren, allein ihre Arbeitsbedingungen sind inzwischen mehr wahnsinnig (schwierig) als genial.

Quelle: ntv.de, tno/sport.de

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