Politik

AfD-Experte im Interview "Aber Höcke geht es ja gar nicht um die AfD"

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Der Thüringer AfD-Chef Höcke steht derzeit in Sachsen-Anhalt vor Gericht. Ihm wird das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vorgeworfen.

Der Thüringer AfD-Chef Höcke steht derzeit in Sachsen-Anhalt vor Gericht. Ihm wird das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vorgeworfen.

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Vor Gericht in Halle streitet der AfD-Politiker Björn Höcke ab, gewusst zu haben, dass ein von ihm verwendeter Spruch eine verbotene NS-Parole ist. Aber Höcke streitet auch ab, als Landolf Ladig Aufsätze mit Inhalten veröffentlicht zu haben, in denen die NS-Zeit verharmlost und eine nationalsozialistische Revolution herbeigewünscht wird. Im Interview erzählt AfD-Experte Andreas Kemper, wie er auf Landolf Ladig gestoßen ist.

ntv.de: Sie haben schon vor zehn Jahren herausgefunden, dass es sich bei Björn Höcke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um "Landolf Ladig" handelt, ein Pseudonym, unter dem in NPD-Zeitschriften Artikel erschienen, die von Schwulst und Inhalt eng an nationalsozialistische Vorbilder angelehnt sind. Wie kamen Sie darauf, dass Höcke Landolf Ladig ist?

Andreas Kemper: 2013 war ich der Erste, der ein Buch über die damals gerade gegründete AfD geschrieben hat. Darüber habe ich eine ganze Reihe von Kontakten zu Leuten bekommen, die sich vor Ort mit der AfD beschäftigt haben, also in den einzelnen Bundesländern. Deshalb hatte ich früh auf dem Schirm, wo die radikalsten AfD-Politiker sitzen. So bin ich auf den Geschichtslehrer Höcke gestoßen.

Andreas Kemper ist Publizist und Soziologe. Zuletzt erschien sein Buch "Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus".

Andreas Kemper ist Publizist und Soziologe. Zuletzt erschien sein Buch "Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus".

(Foto: picture alliance / epd-bild)

Was machte den besonders?

Einerseits konnte er im Vergleich zu anderen AfD-Politikern eloquent reden, hatte aber auch krasse politische Positionen. Ihn habe ich zum Anlass genommen, um der Frage nachzugehen, wann eine Position noch konservativ ist und wann bereits faschistisch. Ich habe dazu eine sehr ausführliche Recherche unternommen - mir alle seine Reden angeschaut und alle Texte gelesen. Dabei bin ich auf eine bestimmte Formulierung gestoßen: Höcke sprach von der "organischen Marktwirtschaft". Das klang merkwürdig.

Warum?

Die Nationalsozialisten hatten ihre Wirtschaftsform als "organische Wirtschaft" bezeichnet. Das hätte natürlich auch Zufall sein können, aber als ich danach gesucht habe, wer sonst noch den Begriff "organische Marktwirtschaft" benutzt, bin ich auf einen Landolf Ladig gestoßen - der einzige Treffer im ganzen Internet. Und dieser Landolf Ladig hatte einen Artikel in der NPD-Zeitschrift "Eichsfeld Stimme" geschrieben, die von Thorsten Heise herausgegeben wird.

Einem NPD-Funktionär.

Nicht nur, das ist einer der gefährlichsten Neonazis in Deutschland, zugleich Vizechef der NPD, die sich heute ja "Die Heimat" nennt. Heise steht innerhalb der NPD für den rechten Flügel, er hat mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung, sein Name taucht auch in den NSU-Akten auf. Jedenfalls wird in der "Eichsfeld Stimme" auch das Wohnhaus von Björn Höcke beschrieben. Das waren ein bisschen viele Zufälle. Ich habe dann noch zwei weitere Artikel von Landolf Ladig gefunden, die in der Zeitschrift "Volk in Bewegung" erschienen sind, die auch von Heise herausgegeben wird. Das ist allerdings keine NPD-Zeitschrift, wie häufig gesagt wird, sondern die steht noch weiter rechts - so weit rechts, dass sie immer wieder wegen nationalsozialistischer Propaganda verboten wurde.

Was hat Landolf Ladig alias Björn Höcke da geschrieben?

Unter anderem schreibt er da, dass es zwei Angriffskriege auf Deutschland gab - den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Angeblich war eine staatliche "Antiglobalisierungsbewegung" im NS-Regime so erfolgreich, dass sie vom Ausland bekämpft wurde.

Die Nazis selbst haben sich natürlich nicht als "Antiglobalisierungsbewegung" bezeichnet, der Begriff "Globalisierung" entstand erst in den 1960er Jahren. Für die Nazis gab es nur eine anti-internationalistische Bewegung; das war die gegen das "internationale Judentum", wie sie es nannten. Von heutigen Neonazis wird das als Antiglobalisierungsbewegung definiert. Der NPD-Politiker Jürgen Gansel hat in einem Schulungsheft für die NPD die Globalisierung als wesenhaft "jüdisch-nomadisch" gekennzeichnet. Höcke hat also nicht einfach nur für eine NPD-Zeitschrift geschrieben. Was Landolf Ladig anstrebt, ist eine nationalsozialistische Revolution gegen das "internationale Judentum".

Protest gegen den AfD-Politiker zum Auftakt des Höcke-Prozesses am vergangenen Donnerstag.

Protest gegen den AfD-Politiker zum Auftakt des Höcke-Prozesses am vergangenen Donnerstag.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Ihre Veröffentlichungen haben in einem Parteiausschlussverfahren gegen Höcke 2017 eine Rolle gespielt, das noch von der früheren AfD-Chefin Frauke Petry angestrengt wurde. Haben AfD-Politiker Sie jemals kontaktiert, um sich von Ihnen in dieser Angelegenheit beraten zu lassen?

Das ging schon vorher los, als Bernd Lucke noch AfD-Chef war. Lucke und sein Stellvertreter Hans-Olaf Henkel forderten von Höcke, dass er eine eidesstattliche Versicherung vor Gericht abgibt, dass er nicht Landolf Ladig ist - und dass er mich verklagt, um vor Gericht zu klären, was an den Unterstellungen dran ist. Würde er das nicht machen, sollte er alle Ämter in der AfD verlieren. Höcke hat das Ultimatum verstreichen lassen, er hat mich nicht angezeigt. Aber den Machtkampf verloren Lucke und Henkel: Sie haben im Sommer 2015 mit dreitausend weiteren Mitgliedern die AfD verlassen. Zwei Jahre später gab es dann das ebenfalls gescheiterte Parteiausschlussverfahren, das von Frauke Petry angeschoben wurde. Dafür wurde eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, zu prüfen, ob Höcke sich im Rahmen der Verfassung bewegt. Dazu wurden auch meine Recherchen herangezogen. Die Kanzlei kam zu dem Schluss: Kemper hat recht, Höcke ist Ladig. Aber ich bin nie kontaktiert worden.

Und Höcke hat Sie auch nie verklagt.

Nein. Höcke hat eine ganze Reihe von Klagen geführt. Das ist ja noch mal eskaliert, als das Zentrum für politische Schönheit ein Kunstprojekt vor seinem Garten gestartet hat. Die sind ganz offensiv damit umgegangen, dass Höcke Ladig ist. Sie haben Plakate gemacht, auf denen Höcke abgebildet war, auf denen stand: "Landolf Ladig". Und tatsächlich haben Höcke und andere das Zentrum für politische Schönheit angezeigt - aber nie im Zusammenhang mit Ladig.

Aktuell steht Höcke in Sachsen-Anhalt vor Gericht, weil er die SA-Parole "Alles für Deutschland" in einer Rede verwendet hat, was ein verbotenes Verwenden eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen und terroristischen Organisation wäre. Höcke argumentiert, er habe nicht gewusst, dass er eine SA-Parole wiedergegeben habe. Ist theoretisch denkbar, dass das stimmt?

Theoretisch ist viel denkbar, aber auch vor Gericht geht es immer darum, was plausibel ist. Es ist komplett unplausibel, dass Höcke die Parole nicht kannte. Höcke ist Geschichtslehrer. Dieser Slogan war nicht nur der Wahlspruch der SA, sondern war auch bei Aufmärschen riesengroß zu sehen. "Alles für Deutschland" waren die letzten Sätze von wichtigen Nazi-Größen. Und er ist der vierte AfD-Politiker, der mit dem Vorwurf konfrontiert ist - vor ihm haben bereits drei weitere Schlagzeilen damit gemacht. Natürlich wusste Höcke das. Er hat auch gefordert, den Paragrafen 86 abzuschaffen, der das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verbietet. Er hat dies in einer E-Mail geäußert und in anderen Beiträgen zumindest implizit gefordert.

Im TV-Duell gegen den Thüringer CDU-Chef Mario Voigt sagte Höcke, das Strafrecht werde in Deutschland "immer mehr zur Einschränkung der Meinungsfreiheit genutzt".

Zum Beispiel.

Aber warum verwendet Höcke einen NS-Slogan und leugnet hinterher, das bewusst getan zu haben? Müssten ihn seine Gesinnungsgenossen dann nicht für einen Schwächling halten?

Ich denke, dahinter steckt eine Art Machiavellismus.

Machiavellismus?

Machiavelli sagt: Das Volk will belogen werden und die Lüge gehört zum Machtkampf. Wenn es "der Sache" dient, dann darf gelogen werden. Es gibt sicherlich auch Wähler, die sich enttäuscht von ihm abwenden würden, wenn herauskommt, dass er bewusst die Unwahrheit sagt. Aber AfD-Funktionäre würden eher hervorheben, dass Höcke bei dem Prozess den verhassten Staat vorführt.

Höcke hat jeden Machtkampf in der AfD überlebt. Ist er heute die mächtigste Figur in der AfD?

Auf jeden Fall ist seine Strömung in der AfD die einflussreichste. Das hat man zuletzt beim Magdeburger Parteitag gesehen: Seine Leute dominieren die Liste der AfD für die Europawahl, angefangen vom Spitzenkandidaten. Aus meiner Sicht gibt es in der AfD drei Strömungen: eine extrem neoliberale Strömung, eine christlich-fundamentalistische Strömung und eben Höckes faschistische Strömung. Die AfD fing an mit der neoliberalen Strömung, aber die ist längst an den Rand gedrängt worden. Die christlich-fundamentalistische Strömung hat immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die faschistische Strömung dominiert meiner Meinung nach die Partei.

Hätten Sie sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass es viele Wähler überhaupt nicht interessiert, ob ein einflussreicher Politiker ein überzeugter Nationalsozialist ist, sondern dass solche Vorwürfe als Einschränkung der Meinungsfreiheit empfunden werden?

In gewisser Weise fing das damals an mit Thilo Sarrazin. In der Berichterstattung über Sarrazin und sein Buch kam immer wieder der Satz: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Damals gab es auch die Diskussion, ob jetzt eine "Sarrazin-Partei" entsteht. Die AfD ist nicht als "Sarrazin-Partei" gegründet worden, aber sie entstand auch aus dieser Gemengelage. Das "Man wird doch wohl noch sagen dürfen" war bei ihr von Anfang an dabei. Dahinter steckt aus meiner Sicht ein bewusstes Vorgehen: Wenn jede Kritik als Einschränkung der Meinungsfreiheit dargestellt wird, ist es schwierig, Kritik zu üben. Ich habe Höcke 2016 und 2017 in zwei weiteren Publikationen nachgewiesen, dass er eine NS-Rhetorik verwendet. Doch auf einmal wurde der Vorwurf umgedreht: Dann ging es nicht mehr darum, wie faschistisch Höcke ist, sondern darum, dass meine Vorwürfe selbst faschistisch seien, weil sie Höckes Meinungsfreiheit einschränken würden. Im Ergebnis wird der Faschismusbegriff so verdreht, dass man selber pauschal als "Faschist" bezeichnet wird, wenn man wissenschaftlich fundiert faschistische Ideologie nachweist. Das ist eigentlich sehr durchschaubar, aber in gewisser Weise funktioniert es.

Was ist nach Ihrer Einschätzung die strategische oder taktische Rolle der Nähe zum Nationalsozialsozialismus innerhalb der AfD? Wäre die Partei nicht erfolgreicher, wenn sie nur rechtspopulistisch wäre, nicht aber rechtsextrem?

Aber Höcke geht es ja gar nicht um die AfD. Die AfD ist ihm letztlich egal. Er sagt immer wieder, dass es ihm um "die Bewegung" gehe, die größer sei als die AfD. Die AfD ist eher Mittel zum Zweck. Wenn er bei der AfD rausgeworfen würde, dann würde er eine neue Partei gründen oder ohne Partei weitermachen.

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Sie selbst stehen politisch links. Warum sollte jemand, der sich selbst beispielsweise als konservativ einordnet, Ihre Warnungen vor Höcke und der AfD ernst nehmen?

Meine Einordnung zu Höckes Ideologie als faschistisch wurde von internationalen Faschismusforschern bestätigt, meiner Argumentation, dass Höcke hinter den Ladig-Texten steckt, haben sich AfD-Bundesvorstände 2015 und 2017 und das Bundesamt für Verfassungsschutz angeschlossen. Es geht doch um Argumente, nicht darum, ob jemand links oder konservativ ist.

Mit Andreas Kemper sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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