Person der Woche

Person der Woche Christian Graf Lindnersdorff: der FDP-Chef und die Bombe von 1982

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Die FDP fordert eine fundamentale "Wirtschaftswende", SPD-Politiker schreien wütend auf, die Grünen hoffen, alles sei nur Wahlkampfmanöver. Der FDP-Parteitag am Wochenende könnte aber zum Anfang vom Ende der Ampelregierung werden.

Das 12-Punkte-Papier der FDP zur Wirtschaftswende wirkt im politischen Berlin wie eine tickende Zeitbombe. Alle Akteure der Ampelkoalition wissen, dass die Liberalen die Regierung damit offen infrage stellen. Schon am Wochenende will die FDP auf ihrem Parteitag das 12-Punkte-Programm in einen Leitantrag gießen und beschließen, den politischen Druck erhöhen und die Ampel-Partner weiter brüskieren.

Nach außen geben sich viele Ampelianer noch im Olaf-Scholz-Beschwichtiger-Modus. Der Vorstoß sei Wahlkampfgetöse vor der Europawahl, eine typische FDP-Inszenierung, aus der nichts folgen werde, auch die FDP habe kein Interesse an Neuwahlen. Arbeitsminister Hubertus Heil nennt es "Parteitagsfolklore".

Doch hinter den Kulissen bei Grünen und SPD wächst die Nervosität. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert attackiert das FDP-Papier als eine "Beschimpfung von Arbeitnehmern" und einen "zynischen Blick auf unsere Mitmenschen". SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verunglimpft die Liberalen als "Mottenkiste", SPD-Parteichef Lars Klingbeil posaunt: "Wir lassen das nicht zu." Die SPD könnte - wenn die These von der Parteitagsfolklore glaubhaft wäre - das FDP-Papier einfach ignorieren, beschweigen und ist Leere laufen lassen. Da sie aber das Gegenteil tut und wutschäumend auf den Liberalen herum poltert, zeigt sie Nerven. Es entsteht der Eindruck: In der SPD bereitet man sich insgeheim auf ein Ende der Ampel vor und schaltet schon in den Wahlkampfmodus.

"… und es wird etwas passieren"

Es gibt drei Umstände, warum aus dem FDP-Papier tatsächlich das Ampel-Ende werden können. Zum einen ist die Lage und Stimmung in der deutschen Wirtschaft derart gereizt, dass der Handlungsdruck gerade auf die FDP enorm groß geworden ist. "Es muss etwas passieren, und es wird etwas passieren. Die Republik wird sich noch wundern", heißt es im Umfeld des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. Auch aus der Grünen-Spitze ist zu hören: Die Strategie des Kanzlers, die Krise schönzureden und auszusitzen, wird den Sommer nicht überleben.

Zum zweiten drohen den Ampelparteien desaströse Wahlniederlagen, ja historische Debakel bei der Europawahl und den Landtagswahlen im Herbst. Für die FDP geht es um das schiere Überleben, für die SPD um ihre Rolle als Volkspartei. Beide Parteien zusammen sind kaum mehr so groß wie die AfD allein. Dies käme einem historischen Achsbruch der Republik gleich. Die FDP wird aber kein zweites Mal nach 2013 blind in den Untergang wanken und aus dem Bundestag ausscheiden, nur weil man zu lange in einer schlechten Regierung ausgeharrt hat.

Viel zu sagen hatten sie sich da schon nicht mehr: Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Schmidt am 9. September im Deutschen Bundestag in Bonn.

Viel zu sagen hatten sie sich da schon nicht mehr: Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Schmidt am 9. September im Deutschen Bundestag in Bonn.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Vieles erinnert an den 9. September 1982

Das dritte Argument für einen Koalitionsbruch liegt in den nahenden Haushaltsverhandlungen. Die sind schon jetzt völlig verkantet. Finanzminister Lindner fordert Sparpläne, die roten und grünen Minister wollen die aber nicht liefern, stattdessen lieber über die Lockerung der Schuldenbremse reden. Am Haushaltsstreit verdichtet sich der ordnungspolitische Grundsatzkonflikt der Regierung. Aus dem Finanzministerium ist zu hören, dass Linder die Losung ausgibt, "beinhart zu bleiben" und grundlegende Reformen einzufordern. Damit dürfte das 12-Punkte-Papier in den Mittelpunkt der nächsten Koalitionskrise rücken. Lindner verkündet schon, es gebe diametral unterschiedliche "Denkschulen" in der Ampel. FDP-Strategen sagen einen "Showdown im Juni" voraus, an dem die Koalition endgültig platzen könne. Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Helge Lindh warnt, dass das FDP-Papier eigentlich "eine Austrittserklärung aus der Koalition" sei, wenn man es ernst nehme. Christian Lindner nimmt es ziemlich ernst.

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Vieles erinnert an jenen 9. September 1982, als ein Bote donnerstagsabends am Bonner Kanzleramt klingelte, um einen Umschlag mit einem 33-seitigen Wirtschaftswende-Papier der FDP zu überreichen. Der harmlos sperrig klingende Titel lautete damals "Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit".

Der Botengang lieferte einen der explosivsten Briefe der bundesdeutschen Geschichte. Der inhaltliche Sprengsatz brachte die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und damit die sozialliberale Ära zum Einsturz und den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl infolge der "Bonner Wende" ins Kanzleramt. In der FDP kennen und lieben sie das damalige Wendepapier des legendären Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff und haben darum das jetzige Provokations-Papier ähnlich sperrig-harmlos "12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende" genannt. Inhaltlich liest sich Lambsdorffs Papier von 1982 wie eine Blaupause zur heutigen Lage der Regierung. Auch der demonstrative Einsatz der "Wende"-Vokabel zeugt von einer klaren Absicht Christian Lindners, was er will und womit er droht. Wenn er nun am Wochenende auf dem Parteitag noch Lambsdorff zitieren sollte, dann weiß auch das Kanzleramt - nun wird es ernst.

Quelle: ntv.de

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