Redelings Nachspielzeit

Helmer kann es nicht mehr hören Das peinlichste (Nicht-)Tor der Bundesligageschichte

Der Ball geht eindeutig am Tor vorbei.

Der Ball geht eindeutig am Tor vorbei.

(Foto: picture-alliance / Sven Simon)

Der 23. April 1994 geht in die Geschichtsbücher der Bundesliga ein. Damals fällt im Münchener Olympiastadion ein Treffer, der tatsächlich keiner ist. Das Phantomtor von Thomas Helmer ist heute allen Beteiligten nur noch peinlich. Doch für den weiteren Saison-Verlauf hat es dramatische Konsequenzen.

"Wir werden den Ball nicht reinkriegen." Bayerns Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge half nach dem Schauen von zig Wiederholungen am Ende nur noch Galgenhumor. Das Phantomtor des Münchener Abwehrspielers Thomas Helmer am 23. April 1994 gegen den 1. FC Nürnberg ist heute allen Beteiligten eigentlich nur noch peinlich. Besonders Thomas Helmer reagiert geradezu allergisch darauf, wenn er auf die kuriosen Umstände dieses Nachmittags angesprochen wird: "Es ist für mich tatsächlich nicht so angenehm, wenn nach 17 Jahren als Profifußballer immer wieder diese eine Szene als Erstes rausgeholt wird." Verständlich. Doch da auch der damalige Nationalspieler aus dem ostwestfälischen Herford sich bei dieser Partie des 32. Spieltags der Saison 1993/94 alles andere als mit Ruhm bekleckerte, muss er wohl damit leben, dass sich auch zum dreißigjährigen Jubiläum wieder eine neue Generation an Fußballfans ungläubig die Szenen dieses Nachmittags anschauen wird.

Das sogenannte Phantomtor an sich hätte schon gereicht, dass dieser Treffer, der keiner war, in die Geschichtsbücher der Bundesliga eingegangen wäre. Doch insbesondere die Rahmenbedingungen dieses Klassikers machten die Story im Nachhinein so besonders. Denn sowohl für die Bayern als auch für die Nürnberger ging es an diesem sommerlichen Aprilnachmittag um eine ganze Menge. Die Münchener kämpften im Fernduell gegen den 1. FC Kaiserslautern um den Titel und der Club brauchte im Kampf gegen den Abstieg jeden Zähler. Als am Ende die Bayern Meister wurden und der 1. FC Nürnberg nur aufgrund des schlechteren Torverhältnisses den Gang in die Zweite Liga antreten musste, litt besonders einer: Thomas Helmer. Noch heute sagt der damalige Abwehrspieler der Bayern über den Ausgang der Liga: "Viel schlimmer aus meiner Sicht ging es gar nicht!"

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Doch was war damals überhaupt genau geschehen? Die Bayern und der 1. FC Nürnberg hatten sich bis zur Mitte der ersten Halbzeit ein Duell auf Augenhöhe geliefert, bis es in der 26. Minute zu der Szene kam, die zum 1:0 für den Rekordmeister führte. Thomas Helmer hatte erst Club-Torwart Andreas Köpke angeschossen und dann den zweiten Ball mehr als unglücklich und knapp am Torpfosten der Nürnberger vorbeigestochert. Verzweifelt lächelnd hielt sich Helmer anschließend den eigenen Kopf. Und Köpke? Der meinte in der Rückschau: "Den Ball am Tor vorbeizubringen, war schwieriger, als ihn reinzuschießen."

"Ich habe in die Sonne geschaut"

Und eigentlich hatte Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers auch schon auf Abstoß für den Club entschieden, doch dann überlegte er es sich überraschend doch noch einmal anders: "Ich hatte Zweifel und habe mich auf die Entscheidung des Linienrichters verlassen." Und dieser Linienrichter hieß Jörg Jablonski und meinte direkt nach der Partie: "Ich habe in die Sonne geschaut, war der Überzeugung, dass der Ball drin gewesen ist." Ein irrer Fehlglaube! Und obwohl im Grunde alle Spieler auf dem Platz und die Offiziellen an der Seitenlinie genau wussten, was geschehen war, zählte der Treffer tatsächlich. Im Hintergrund erklang mit Verspätung die Torhymne der Bayern. Und nur wenige Sekunden später hatte Schiri Osmers die Partie beim Stand von nun 1:0 für den Rekordmeister wieder angepfiffen.

Viele Jahre später war Linienrichter Jablonski immer noch nicht über seine damalige Entscheidung hinweggekommen. Sich rechtfertigend meinte er: "Ich habe mir die Szene noch sehr oft auf Video angesehen und Tausende Fans hinter mir haben die Arme zum Jubel hochgerissen, weil es von der Seite eindeutig nach Tor aussah. 99 Prozent hätten die Fahne gehoben." Eine weitere irre Aussage. Denn im TV meinte Kommentator Werner Hansch damals komplett ohne Zweifel: "Kein Mensch hat den Ball im Tor gesehen." Lustigerweise sagte Thomas Helmer allerdings in einem Interview im Anschluss an das Spiel einen denkwürdigen Satz: "Im Fernsehen hat man erkannt, dass es kein Tor war. Im Spiel habe ich es aber nicht gesehen."

Eine Aussage, die man natürlich mehr als anzweifeln kann - die aber gleichzeitig eine Debatte möglicherweise im Keim erstickt, die bis heute geführt wird. Denn Schiri Osmers beharrt darauf, dass er damals noch auf dem Feld Helmer gefragt haben will, ob der Ball drin gewesen sei. Der Abwehrspieler der Bayern weist hingegen heute noch voller Überzeugung in Interviews auf einen Fehler hin, den seiner Meinung nach Osmers und er gemeinsam begangen haben: "Wir hätten uns damals nach der Szene auf jeden Fall unterhalten müssen." Ob sie es taten oder nicht, wird schlussendlich wohl nicht mehr zu klären sein.

Wiederholungsspiel besiegelt Abstieg

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Doch das alles wäre mittlerweile wohl allenfalls noch etwas für die Anekdotenecke der Bundesliga, wenn das Spiel am Ende nicht mit 2:1 für die Bayern ausgegangen wäre. Und das, obwohl Thomas Helmer - nach einem tatsächlichen Treffer von ihm zum 2:0 - noch einmal in Erscheinung getreten war. Denn nach einem Anschlusstreffer der Nürnberger hatte der damalige Nationalspieler kurz vor Schluss noch einen Elfmeter verursacht. Doch Bayerns Schlussmann Raimond Aumann hielt den von Manni Schwabl schwach geschossenen Strafstoß. Wäre das Spiel hingegen mit einem Unentschieden geendet - Nürnberg hätte sich den Einspruch gegen die Wertung der Partie wohl gespart. So kam es nur vier Tage vor Schluss der Saison zu einem Wiederholungspiel, das die Bayern klar mit 5:0 gewannen.

Für die Nürnberger bedeutete der Ausgang der Partie den endgültigen Abstieg. Die Bayern hingegen konnten am Ende der Saison - auch durch diese zwei Punkte - die Meisterschaft feiern. Ein Titel, der allerdings immer noch diesen einen kleinen Makel trägt, denn direkt nach dem Spiel mit Helmers Phantomtor hatte Lauterns damaliger Manager Reiner Geye gemeint: "Wenn es mit dem Titel jetzt nicht klappt, können wir uns zumindest als moralischer Meister fühlen."

Auch dreißig Jahre später würde Thomas Helmer diesen Tag wohl gerne ungeschehen machen. Doch für die Geschichte der Bundesliga wird der 23. April 1994 immer ein Tag sein, an den man sich gerne zurückerinnert. Denn Helmers Phantomtor bleibt einer der kuriosesten (Nicht-)Treffer der Ligahistorie - und einer der peinlichsten Momente für alle Beteiligten an diesem sommerlichen Aprilnachmittag vor dreißig Jahren.

Quelle: ntv.de

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