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12-Punkte-Papier der FDP Sie zerstören viel mehr als die Ampel-Regierung

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Die FDP um Parteichef Lindner legt mit ihrem Forderungskatalog die Lunte ans Modell mit drei Koalitionären.

Die FDP um Parteichef Lindner legt mit ihrem Forderungskatalog die Lunte ans Modell mit drei Koalitionären.

(Foto: picture alliance/dpa)

FDP, Grüne und SPD sind dabei zu beweisen, dass eine Dreier-Koalition im Bund nicht funktionieren kann: der Offenbarungseid des politischen Systems. Die System-Gegner werden sich freuen.

"Denn sie wissen nicht, was sie tun", heißt einer der berühmtesten Filme mit James Dean. Dreh- und Angelpunkt ist der "chicken run", das "Feigling-Rennen": In zwei Autos rasen die Duellanten auf einen Abgrund zu, wer als erster rausspringt, hat verloren, weil er der "Feigling" ist. Zur aktuellen Lage der Regierungskoalition gibt eigentlich nur einen Unterschied: Man sitzt nicht in drei Wagen, sondern gemeinsam in einem. Auf den Abgrund zu geht es trotzdem.

Am Wochenende durfte die FDP mal wieder ans Gaspedal und drückte drauf. 12 Punkte, 12 Forderungen, 12 Vorwürfe: die meisten bekannt, manche schon zum guten Teil erledigt, andere mit diesen Koalitionspartnern unerfüllbar. Wichtig dabei: Das sagt im Einzelnen noch nichts darüber, ob die Forderungen jeweils vernünftig zu nennen sind. Es sagt aber eine Menge darüber, was das Motiv hinter den Forderungen sein könnte. Und welches Risiko darin steckt: Eines nämlich, das viel größer ist als die drei Parteien zusammen. Eines, das in den Offenbarungseid des gesamten politischen Systems in Deutschland münden könnte. In den Abgrund.

Die FDP plädiert unter anderem dafür, die "Rente mit 63" zu streichen. Tatsächlich erreicht nach Ansicht der allermeisten Experten die "Rente mit 63" (aus Steuergeld finanziert) nicht diejenigen, die sie erreichen sollte. Es sind in der Regel eben nicht Leute mit 45 Jahren körperlicher Arbeit zu vergleichsweise niedrigen Löhnen, die nicht mehr können und dafür nicht mit Rentenabschlägen bestraft werden sollen. Es sind Leute bei guter Gesundheit und mittleren bis höheren Einkommen, doch die wollte man keinesfalls auf Steuerzahlerkosten früher aus dem Arbeitsleben entlassen, sie fehlen als Facharbeiter und Steuerzahler.

Kurzum: "Die Rente mit 63" zu korrigieren, wäre in der Sache richtig - doch in dieser Koalition mit dieser SPD unmöglich. Ähnliches kann man über eine ganze Reihe der weiteren Forderungen sagen. Sie fallen allesamt hinter das zurück, was auch die FDP im Koalitionsvertrag unterschrieben hat.

Auf dem Spiel steht das politische System

Was soll das Ganze also? Die FDP pokert darauf, dass die beiden anderen Parteien mehr Angst vor Neuwahlen haben als sie selbst. Aber ganz egal, ob die Liberalen ihre Partner (und die eigenen Nerven) bei diesem Poker richtig einschätzen: Auf dem Spiel steht weit mehr als eine mächtig unbeliebte Bundesregierung oder die spätere Rückkehr der FDP in einen neu gewählten Bundestag. Auf dem Spiel steht das politische System Deutschlands - das ohne Koalitionsregierungen absolut nicht sein kann. Auf Bundesebene mussten sich 2021 zum ersten Mal drei Parteien zusammenfinden, anders als Lager übergreifend war das nicht denkbar. Das gemeinsame Regieren in diesem "Bündnis der Widersprüche" (Kevin Kühnert) ist komplizierter als üblich - und der Preis des Scheiterns höher.

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Die weltanschaulichen Widersprüche der drei Parteien sind legitim. Parteien sollen und müssen sich unterscheiden. Aber auch nach Neuwahlen wird es aller Wahrscheinlichkeit keine Regierungsmehrheit geben, die nicht lagerübergreifend ist oder nicht aus drei Parteien besteht. Heißt: Wenn SPD, Grüne und FDP jetzt an ihren Widersprüchen scheitern, und dafür spricht stetig mehr, dann scheitert die Dreier-Koalition als Modell und Zukunft. Dann hat das traditionelle Parteiensystem in Deutschland keine Antwort mehr auf das sehr wahrscheinlich nächste Wahlergebnis.

Ist es das, was FDP, SPD und Grünen im Ernst wollen – je nachdem, wer gerade beim "chicken run" den Fuß auf dem Gaspedal hat? Ist ihnen klar, dass sich keiner von ihnen allein retten kann, weil sie alle in einem Auto sitzen? Man mag es einfach nicht glauben: Man hatte gehofft, wir würden von Erwachsenen regiert.

Quelle: ntv.de

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