Sport

Vertrauen in WADA erschüttert Kontrolleure wegen Massendoping-Vorwürfen am Pranger

Ob wirklich alles ganz sauber zugeht, steht nun infrage.

Ob wirklich alles ganz sauber zugeht, steht nun infrage.

(Foto: IMAGO/TT)

Dreimal Olympia-Gold soll China durch positiv auf Doping getestete Athleten gewonnen haben. Der Vorwurf wiegt schwer, denn die Welt-Anti-Doping-Agentur weiß von 23 positiv getesteten Chinesen, die sie aber nicht sanktioniert. Sie verteidigt ihr Vorgehen.

Schlamperei? Nachlässigkeit? Oder gar Vertuschung eines Doping-Skandals? Die Welt-Anti-Doping-Agentur lässt die schweren Anschuldigungen nicht auf sich sitzen. In einem 737 Wörter langen Statement beklagt die WADA "irreführende und möglicherweise diffamierende Medienberichte" - und droht in Fettdruck juristische Konsequenzen an. Die barsche Reaktion hat einen Grund: Das höchste Gut der Organisation, ihre Glaubwürdigkeit als Wächter über faire Bedingungen im Sport, ist drei Monate vor den Olympischen Spielen in Paris erheblich in Zweifel gezogen worden.

Die Vorwürfe wiegen allerdings schwer. Laut einer gemeinsamen Recherche der ARD-Dopingredaktion, der "New York Times" und des australischen "Daily Telegraph" wurden 23 chinesische Spitzenschwimmer vor den Olympischen Sommerspielen 2021 positiv getestet, allerdings nicht sanktioniert. Drei von ihnen gewannen in Tokio Olympiagold.

Die ARD-Dopingredaktion beruft sich auf einen chinesischen Untersuchungsbericht, der die Grundlage für die Recherche zur Dokumentation "Die Akte China" bildet. Der Bericht sei offiziell von Chinas Anti-Doping-Agentur CHINADA verfasst worden, als untersuchende Behörde sei aber das Ministerium für öffentliche Sicherheit angegeben. Dem Bericht zufolge wurden im Januar 2021 23 der besten chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer bei einem Wettkampf in Shijiazhuang positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet, welches die Energie- und Sauerstoffversorgung der Muskelzellen verbessert. Die Substanz, wegen der die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa auch auf Betreiben der WADA im Januar für vier Jahre gesperrt wurde. 13 der mutmaßlich positiv getesteten Chinesen starteten dennoch bei Olympia 2021 und gewannen Medaillen in fünf Wettbewerben.

WADA verteidigt Entscheidung

Dem Bericht zufolge kamen die positiven Fälle durch Kontamination in einer Hotelküche zustande, die verbotene Substanz sei ohne Wissen der Sportler in deren Körper gelangt, die Athleten seien nicht zu sperren. Die positiven Fälle seien mit zweimonatigem Verzug im März 2021 in das offizielle WADA-Meldesystem eingegeben, allerdings offenbar nicht als Anti-Doping-Regelverstöße gemeldet worden. In der Zwischenzeit habe die interne chinesische Untersuchung stattgefunden. Steht ein Regelverstoß im Raum, greift normalerweise umgehend eine vorläufige Sperre.

Die WADA verzichtete laut der Recherchen auf eine eigene Untersuchung. Sie teilte der ARD mit, sie habe auf Basis der Analysedaten "keine Grundlage" gesehen, die "Erklärungen der Kontamination anzufechten" und verwies u.a. auf niedrige Konzentrationen und schwankende Werte. Auch der Welt-Schwimmverband World Aquatics hatte offenbar nichts zu beanstanden.

Am Montag verteidigte die WADA ihren Verzicht auf Sanktionen: "Die Agentur steht weiter fest zu den Ergebnissen ihrer wissenschaftlichen Untersuchung und den rechtlichen Entscheidungen in diesem Fall." Alle Vorwürfe in der Sache seien geprüft worden, es lägen aber nicht ausreichend Beweise vor, um neuerliche Ermittlungen einleiten zu können, fügte die Behörde hinzu. Am Samstag hatte sie erklärt, aufgrund der "extremen Einschränkungen durch die COVID-bedingte Abriegelung" sei es der Agentur "nicht möglich" gewesen, ihre Untersuchungen vor Ort durchzuführen. Man habe aber beispielsweise "unabhängige Experten" konsultiert, um die Kontaminations-Theorie zu überprüfen. Die WADA sei schließlich zu dem Schluss gekommen, "dass sie nicht in der Lage war, die Möglichkeit einer Kontamination als Quelle von Trimetazidin zu widerlegen".

"Messer im Rücken aller sauberen Athleten"

Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) forderte eine "umfassende Aufarbeitung aller Vorgänge und gegebenenfalls auch Konsequenzen". Die Nachrichten aus China seien "beunruhigend", wird Leistungsportdirektor Christian Hansmann in einer DSV-Mitteilung zitiert. Transparenz sei ein "unverzichtbarer Bestandteil des Anti-Doping-Kampfes", betonte Hansmann.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser - qua Amt auch für den Sport zuständig - sagte: "Wenige Monate vor den Olympischen Spielen muss der im Raum stehende Verdacht des Wegschauens oder gar Vertuschens schnellstens umfassend aufgeklärt werden. Wenn ein so schwerwiegender Dopingverdacht besteht, dann muss dieser unabhängig durch die Wada geprüft werden."

Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, hatte gegenüber der ARD-Dopingredaktion von "schockierenden Enthüllungen" und einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten" gesprochen. Am Samstag schrieb er in einem USADA-Kommunique von "Vertuschung" und forderte Sanktionen gegen die Verantwortlichen. Die WADA reagierte, sprach von falschen Anschuldigungen und kündigte juristische Schritte gegen Tygart an.

Der wiederum konterte, es sei "enttäuschend zu sehen, dass die WADA zu Drohungen und Panikmache greift, wenn sie mit einem eklatanten Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmungen konfrontiert wird." Die Fakten blieben dieselben, hielt Tygart fest: "Die WADA hat es versäumt, die Athleten vorläufig zu suspendieren, die Ergebnisse zu disqualifizieren und die positiven Ergebnisse öffentlich bekannt zu geben." Günter Younger, der deutsche WADA-Direktor für Nachrichtendienste und Ermittlungen, sieht das anders: "Die WADA hat sich in jeder Phase an die üblichen Verfahren gehalten und ist jedem Hinweis und jeder Spur in dieser Angelegenheit sorgfältig nachgegangen."

Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa

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