Wissen

Geheimes Wissen im Mittelalter Löst Sex-These Rätsel um Voynich-Manuskript?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Auf den Abbildungen sind Frauen erkennbar, die Gegenstände in die Nähe ihrer Genitalien halten.

Auf den Abbildungen sind Frauen erkennbar, die Gegenstände in die Nähe ihrer Genitalien halten.

(Foto: Yale-Universitätsbibliothek)

Unbekannte Schriftzeichen, eigenartige Bilder: Seit Jahrzehnten zerbrechen sich Fachleute die Köpfe, wenn sie das Voynich-Manuskript aus dem Mittelalter deuten wollen. Nun gibt es einen neuen Erklärungsansatz. Demnach soll es in dem Manuskript vor allem um Frauengeheimnisse und Sex gehen.

Seit Jahren versuchen Fachleute vergeblich, die Rätsel um das mysteriöse Voynich-Manuskript zu lösen. Nun veröffentlicht ein Forscherduo mit einem neuen Deutungsansatz seine Erkenntnisse. Das australische Team um Keagan Brewer von der Macquarie University Sydney und Michelle Lewis ist der Ansicht, dass Sex ein darin ausführlich behandeltes Thema ist. Zudem handelt es sich bei einer der größten Darstellungen sowohl um Sex als auch um Empfängnis, schreibt Brewer in einem Beitrag, der im Fachblatt "Social History of Medicine" veröffentlicht wurde.

In dem umfangreichen Manuskript gibt es Hunderte Darstellungen von Frauen.

In dem umfangreichen Manuskript gibt es Hunderte Darstellungen von Frauen.

(Foto: Yale-Universitätsbibliothek)

Das handschriftliche Voynich-Manuskript gilt als ein großes Rätsel aus dem Mittelalter, das bisher von niemandem gelöst werden konnte. Sowohl die darin verwendeten Schriftzeichen als auch der Autor sind unbekannt. Die zahlreichen und aufwendig angefertigten Zeichnungen erinnern an botanische, anatomische und astronomische Zusammenhänge. Aufwendige Untersuchungen ergaben, dass das Manuskript mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus Tierhäuten gefertigt wurde. Die Tiere starben den Ergebnissen einer sogenannten Radiokohlenstoffdatierung zufolge zwischen 1404 und 1438. Ein Abschnitt des Manuskripts enthält Abbildungen, mit Frauen, die Gegenstände an ihre Genitalien halten. Fachleute glauben, dass solche Bilder nicht in ein Manuskript gehörten, in dem es ausschließlich um Weisheit und pflanzliche Heilmittel ging.

Aus der Deutung bestimmter Abbildungen wird derzeit angenommen, dass das Manuskript im südgermanischen oder norditalienischen Kulturraum angefertigt wurde. Als frühester Besitzer wird ein Mitarbeiter des Heiligen Römischen Kaisers Rudolf II. als sicher bekannt angesehen. Die Lebensdaten von Rudolf II. reichen von 1552 bis 1612. Das bedeutet, dass man wahrscheinlich für mehr als einhundert Jahre nicht nachvollziehen kann, wo und bei wem sich die Manuskripte befanden. Doch das ist nur eine von zahlreichen offenen Fragen, die sich Forschende stellen, wenn sie die alten Schriften und Abbildungen des Voynich-Manuskripts untersuchen.

Arbeiten von Johannes Hartlieb

Das Forschungsteam um Brewer hat sich eigenen Angaben zufolge bewusst für eine neue Herangehensweise entschieden. "Um diese Bilder zu verstehen, haben wir die Kultur der spätmittelalterlichen Gynäkologie und Sexualwissenschaft untersucht. Beides sind Bereiche, die Ärzte damals oft als 'Frauengeheimnisse' bezeichneten", erklärt Brewer. Für ihre Analyse zog das Forschungsduo konkret auch die Arbeiten des spätmittelalterlichen Gelehrten und Arztes Johannes Hartlieb heran, der neben seinen zahlreichen anderen Tätigkeiten zunächst Werke über Magie und Aberglaube verfasste. Allerdings distanzierte er sich später in weiteren sittlichen Schriften davon.

Unbekannte Schrift und unbekannte Sprache: eine Seite aus dem Voynich-Manuskript.

Unbekannte Schrift und unbekannte Sprache: eine Seite aus dem Voynich-Manuskript.

(Foto: picture alliance / akg-images)

Die Forschenden halten es für möglich, dass sich Hartlieb, der etwa von 1410 bis 1468 lebte, auch in räumlicher Nähe zu dem oder den Autoren des Voynich-Manuskripts befand. Er selbst schrieb über Pflanzen, Frauen, Magie, Astronomie und Bäder und empfahl die Verwendung von "geheimen Buchstaben" beispielsweise in Form einer Chiffre, eines geheimen Alphabets oder Ähnlichem. So sollten medizinische Rezepte und Verfahren verschleiert werden, die zu Empfängnisverhütung, Abtreibung oder Sterilität führen können.

"Obwohl sein geheimes Alphabet nicht überlebt hat, hat uns die Analyse seiner Arbeit dabei geholfen, die Einstellungen zu verstehen, die damals zur Verwendung der Verschlüsselung geführt haben. Hartlieb hatte zum Beispiel große Befürchtungen, dass "Frauengeheimnisse" weithin bekannt würden. Er befürchtete, dass seine Schriften außerehelichen Geschlechtsverkehr erleichtern könnten und dass Gott ihn in diesem Fall verurteilen würde", wird Brewer bei "The Conversation - The Lancet" zitiert.

Einstellungen und Zensur des Mittelalters

Der Gelehrte schrieb den beiden Autoren zufolge für männliche Aristokraten. Er selbst wollte das niedergeschriebene Wissen auf keinen Fall Bürgern, Kindern oder Frauen, die zu dieser Zeit immer öfter lesen und schreiben lernten, zugänglich machen. Hartlieb sei deshalb als Mann, der die heterosexuelle Ehe und die "Bescheidenheit der Frauen" schätzte, Lust, Promiskuität und Prostitution verurteilte, ein gutes Beispiel für weitverbreitete Einstellungen der Menschen aus diesem Milieu zu dieser Zeit, so Brewer.

Hartliebs Einstellungen wurden von zahlreichen anderen Schriften und den darin erkennbaren Zensuren aus der damaligen Zeit bestätigt. Denn alles, was zu dieser Zeit unter dem Oberbegriff 'Frauengeheimnisse' niedergeschrieben worden war, wurde kurz darauf zensiert oder von Anfang an nur in geheimer Sprache aufgeschrieben. Teilweise zensierten sich die Autoren selbst oder Zensoren verschleierten im Nachhinein in den Schriften die Informationen, die sie zu gynäkologischen oder Sex-Themen fanden. Manchmal wurden aber auch ganze Seiten oder Kapitel entfernt.

Die sogenannten Rosetten werden als aufwendigste Darstellung in dem umfangreichen Werk angesehen.

Die sogenannten Rosetten werden als aufwendigste Darstellung in dem umfangreichen Werk angesehen.

(Foto: picture alliance/United Archives)

Rosetten anders gedeutet

Aus dieser Perspektive heraus kommt das Autorenteam zu dem Schluss, dass die Illustration der Rosetten, die als größte und aufwendigste Illustration des Manuskripts eingestuft wird, ein spätmittelalterliches Verständnis von Sex und Empfängnis darstellt. Die These stehe im Einklang mit der patriarchalischen Kultur der Zeit und löse viele der offensichtlichen Widersprüche des Manuskripts. Sie ermögliche auch, mehrere Merkmale der Abbildung zu identifizieren, erklärt Brewer weiter. "Die beiden Sonnen ganz oben links und unten rechts spiegeln wahrscheinlich den Glauben von Aristoteles wider, dass die Sonne dem Embryo während seiner frühen Entwicklung natürliche Wärme liefert", so Brewer weiter.

Bereits 2019 behauptete Gerard Cheshire von der University of Bristol das Voynich-Manuskript und vor allem die verwendete Sprache entschlüsselt zu haben. Auch Cheshire war damals der Ansicht, das Manuskript enthalte Sextipps und Anleitungen zur Abtreibung, aber auch das Wissen um pflanzliche Heilmittel und Weisheiten. Doch die These des Forschers zur Sprache konnte nicht durch andere Forschungen bestätigt werden. Sie wurde in einer Stellungnahme sogar als "problematisch" bezeichnet. Auch die Annahme anderer Forschender, das umfangreiche Manuskript mit rund 35.000 Wörtern stamme aus der Feder des Gelehrten Roger Bacon, konnte bisher nicht bestätigt werden.

Das rätselhafte Voynich-Manuskript war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur wenigen Fachleuten bekannt. Im Laufe der letzten Jahrzehnte jedoch stieg der Bekanntheitsgrad sprunghaft an. Es diente bereits in Büchern, Bildern, Musik und sogar Computerspielen als Inspiration. Das Manuskript, das 1912 von Wilfrid Michael Voynich erworben worden war, wird auch als "geheimnisvollstes Buch der Welt" bezeichnet. Seit 1969 ist es mit der Signatur MS 408 im Bestand der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University in New Haven, USA. Es wurde digitalisiert und kann online durchgeblättert werden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen