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Viel zu späte Ukraine-Hilfen Trumps Egoismus hat Europa näher an den Abgrund gerückt

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Mike Johnson und Donald Trump bei ihrem Schulterschluss in Mar-a-Lago.

Mike Johnson und Donald Trump bei ihrem Schulterschluss in Mar-a-Lago.

(Foto: AP)

Nach einem wilden Ritt aus innerparteilichen Machtkämpfen verabschiedet das US-Repräsentantenhaus dringend benötigte Ukraine-Hilfen. Bezeichnend, dass es von Trumps Segen abhing. Es könnte das letzte Paket seiner Art sein.

Vor einem halben Jahr stieg der US-Kongress in eine Zeitmaschine und reiste in die Vergangenheit. Hinter verschlossenen Türen verhandelten Republikaner und Demokraten über neue Ukraine-Hilfen und ein historisches Grenzpaket, dass die Lösung für die beunruhigende Situation im Süden der USA bringen sollte. Beide Seiten machten Zugeständnisse, arbeiteten Details aus und verschiedene Interessen ihrer eigenen Fraktionen ein. Die Parlamentarier taten, was Politiker tun sollten: Sie suchten gemeinsame Nenner, um im Interesse aller voranzukommen. Doch dann zog Donald Trump der Zeitmaschine per Telefon den Stecker.

In Trumps Parteiflügel sind Kompromisse etwas für Schwächlinge. Sie bedeuten Fortschritt, und Fortschritt lässt die Regierung als handlungsfähig, sogar kompetent aussehen. Und, MAGA bewahre, sie könnten sogar Probleme lösen. Auch Trump fürchtete die ausgehandelten Maßnahmen, weil sie mutmaßlich Ziele erreicht, die Lage an der Grenze zu Mexiko beruhigt und die Zahl von Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung verringert hätten. Das Repräsentantenhaus stimmte wegen Trump und seinen verrückten Jüngern nie über den Kompromiss ab. Für seinen Wahlkampf gegen US-Präsident Joe Biden benötigt der Republikaner Konfrontation und Krisen. Keine Lösungen.

Erst jetzt, Monate später, konnte das Repräsentantenhaus die Hilfen in anderer Form billigen. Der Senat wird aller Voraussicht nach am Dienstag folgen und Biden sie per Unterschrift absegnen. Die Ukraine sowie Europa können nun ein wenig aufatmen. Ohne die 60 Milliarden US-Dollar für militärisches Material und anderes hätte das Land bald in russische Hände fallen können. Kiew bereitet zwar seine Verteidigungsanlagen vor, da die Armeeführung eine russische Großoffensive erwartet. Aber es ist unklar, ob die oder die Munition ausreichen; ebenso, welche negativen Auswirkungen die monatelange Verzögerung der Hilfen genau haben wird. Sicher ist: Trump hat Europa mit seinem Egoismus näher an den Abgrund gerückt.

Mysteriöser Kurswechsel

Seinen Einfluss hat Trump monatelang demonstriert. Warum änderte er seine Meinung erst jetzt, stützte öffentlich den Republikaner und Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson? Darüber ist nichts bekannt. Mit gutem Willen könnte man zwar vermuten, dass Trump die Ernsthaftigkeit der Lage in Europa bewusst geworden ist. Sollte Russland die Ukraine überrennen, könnte es für die europäischen Länder der westlichen Allianz deutlich ungemütlicher und gefährlicher werden.

Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen andere Motivationen vermuten: Dass es Trump darum geht, dass die Ukraine zumindest noch bis zu seiner möglichen Vereidigung durchhält. Danach könnte er sich als großer Friedensbringer inszenieren, der den lästigen Konflikt in Übersee dank Gesprächen von Mann zu Mann löst und die USA damit im Vorbeigehen von finanziellen Lasten befreit. Zugleich hat Trump schon jetzt erreicht, dass sich die Lage an der Südgrenze zu Mexiko nicht signifikant verändern wird. Johnson holte sich Trumps Unterstützung öffentlich, entkoppelte das Grenzpaket von den Ukraine-Hilfen und hat es, wie Trumps MAGA-Republikanern versprochen, gleichzeitig zur Abstimmung gestellt. Das Repräsentantenhaus lehnte es ab.

Von Gnaden der Demokraten

Es ist bezeichnend für die Fragilität der Machtverhältnisse, dass die Absolution von Trump - der, zur Erinnerung, kein politisches Amt innehat und derzeit mehr Zeit im Gerichtssaal als im Wahlkampf verbringt - eine solche Bedeutung hat, dass sein Wort nicht nur den Kongress, sondern ganze Kontinente in Atem halten kann. Es zeigt: Der Egoismus eines 77-Jährigen ist wichtiger als der große militärische Stellvertreterkonflikt des 21. Jahrhunderts.

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Bezeichnend auch, dass Johnson die Zustimmung der Demokraten benötigte, um die Hilfen durch die Ausschüsse zu bekommen, während MAGA-Republikaner sie blockierten. Diese Unterstützung könnte Johnson am Ende den Job kosten. Der Republikaner ist nun ein Sprecher von Gnaden der Demokraten. Mit den Rivalen zusammenzuarbeiten, besiegelte schon das politische Schicksal seines Vorgängers Kevin McCarthy.

Wie auch immer die Taktiererei im Detail aussah: Dieses Gezerre, diese Scheinheiligkeit und Instrumentalisierung des Krieges in Europa zum eigenen Vorteil, sie sind der historischen Herausforderung unwürdig. Will die von den USA geführte westliche Allianz aus Demokratien zeigen, dass sie gegen den autoritären Block bestehen kann, müssen sich andere Interessen so lange unterordnen, bis die militärische Bedrohung verlässlich eingedämmt ist. Schafft Trump es im November ins Weiße Haus, wird es in den kommenden Jahren noch turbulenter werden. Das jetzt mit breiter Mehrheit angenommene Hilfspaket könnte das letzte seiner Art sein.

Quelle: ntv.de

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