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Agrarprodukt in der Architektur Ist Reis der Zement der Zukunft?

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Gaia: Dieses Haus wurde per 3D Crane WASP Drucker hergestellt.  Es besteht aus Lehm, Sand, Reisstreu und Reishülsen.

Gaia: Dieses Haus wurde per 3D Crane WASP Drucker hergestellt. Es besteht aus Lehm, Sand, Reisstreu und Reishülsen.

(Foto: Ricehouse)

Aufgetischt als lokale Spezialität oder als einfaches Gericht könnte der Reis, genauer gesagt das, was man von ihm wegwirft, in Zukunft unsere vier Wände zusammenhalten. Und das auf vollkommen emissionsloser Basis. Ein Unternehmen in Italien zeigt, wie es geht.

In Italien isst man ihn gerne als Risotto, im Rest der Welt ist er Hauptgericht oder Beilage, je nach Geldbörse und lokaler Küche. Reis ernährt 65 Prozent der Weltbevölkerung und anders als etwa beim Mais, der auch als Tierfutter dient, liegt der Nutzen des Reisanbaus ausschließlich in der menschlichen Ernährung.

Das könnte sich aber - und vielleicht schon bald - ändern: Reis, beziehungsweise Reisabfall, könnte nämlich der nachhaltige Zement der Zukunft werden. Dieser Meinung sind Tiziana Monterisi und Alessio Colombo vom Unternehmen Ricehouse.

Monterisi und Colombo sind seit der Oberstufe ein Paar und arbeiten auch zusammen. Sie ist Architektin, er Geologe, zwei Berufe, die sich im richtigen Moment perfekt ergänzten, wie Monterisi ntv.de erzählt. "Wir kommen beide aus der Lombardei, als aber Alessio ein Ausschreiben gewann, das ihn nach Biella versetzte, beschloss ich, auch hierherzuziehen."

Die in der norditalienischen Region Piemont liegende Stadt Biella und ihre Umgebung genießen ein gewisses Renommee wegen einer hochqualitativen Stoffproduktion und dem Reisanbau. Monterisi, die sich selbst als eine "Climate Native und nimmersatte Erneuerin" beschreibt, fand sich schnell auch hier zurecht. Der Anblick der von Bergketten umgebenen Reisfelder erweckte ihre Neugier und sie begann, sich mit der Materie Reis zu befassen. So erfuhr sie, dass es anders als bei den meisten Getreidesorten, für den Reisabfall keine Verwendung gab. Gemeint sind hier das Stroh, das auf den Feldern liegen bleibt, und die Schale vom Reiskorn. Diese Entdeckung weckte die Kreativität des Paares.

Monterisi lernte damals auch den Schweizer Architekten Werner Schmidt kennen, der für seine Ökobauten Stroh verwendete. "Warum sollte dasselbe nicht mit Reisstroh möglich sein?", fragte sie sich und begann, die Materie zu untersuchen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse war, dass Reis, dank einer Siliziumkomponente, nicht fault. Was perfekt für das Gedeihen der Reispflanze ist, die zeitweilig auf überschwemmtem Feld steht, und natürlich für die Bausubstanz.

Wasser-, hitze- und kälteresistent

Irgendwann waren alle Tests durchgeführt - man beschloss, die Vision in die Praxis umzusetzen. "Vor zehn Jahren kauften wir dieses Steinhaus aus dem Jahr 1909 und machten uns daran, es zu sanieren, beziehungsweise in das erste Ricehouse zu verwandeln."

Der Reisabfall ist das entscheidende Material bei den Neubauten oder Sanierungen. Damit aber tragende und strukturierende Elemente daraus entstehen, braucht es Bindematerialien. Aus Reisspreu und Kalk kann man etwa Ziegelsteine machen. Farben und Isolierung benötigen noch ein paar andere Komponenten, aber: "Als wir dieses Haus kauften, war es ohne Heizung, und wir haben keine eingebaut. Das Reismaterial bewahrt nämlich die Temperaturen bestens: Durchschnittlich liegen sie zwischen 18 und 22 Grad Celsius", erklärt Monterisi.

Das Haus hat, Untergeschoss mitgezählt, vier Stockwerke und verfügt über insgesamt 500 Quadratmeter. Das Dach wurde mit Reisstrohfasern bedeckt. Die nordwärts orientierte Mauer ist dicker als die Richtung Süden. Für Strom sorgt eine Photovoltaikanlage. Erst als ihr eigenes Experiment gelungen war, gründeten sie das Unternehmen Ricehouse. Am Anfang waren die Auftraggeber vorwiegend wohlhabende Privateigentümer, jetzt sind es auch Unternehmen, die sich informieren und Sanierungsarbeiten in Auftrag geben.

75 Prozent der italienischen Bausubstanz mit Reis sanierbar

Aber was wäre, wenn plötzlich alle mit dieser "neuen Baumaterie" sanieren wollten? Vor wenigen Tagen haben die meisten EU-Länder die Regeln für ein bis 2050 EU-weites klimaneutrales Bauwesen verabschiedet, nur Ungarn und Italien stimmten dagegen.

"Reisabfall gäbe es genügend", antwortet Monterisi. "Reis wird in allen Kontinenten angebaut. Grob ausgerechnet, käme man weltweit jährlich auf 2000 Millionen Tonnen Reisabfall. Und das, ohne die jetzige Produktion auszuweiten. Allein in Italien, Europas größtem Reisproduzenten, wären es zwei Millionen Tonnen jährlich. Damit könnte man 75 Prozent der hiesigen Gebäude sanieren." Außerdem könnte Italien zum wichtigsten Reisabfalllieferanten in Europa werden, gefolgt von Spanien und Frankreich. Auch Rumänien könnte einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Machbar wäre es also, doch wer übernimmt die Kosten? Diese Frage hatte der italienische Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti nach der Verabschiedung der Emissionsregeln gestellt. Geschätzt sollen sich diese EU-weit und jährlich auf 275 Milliarden Euro belaufen.

Torri Risorsa: Sanierung mit Ricehouse-Platten der vier Wohntürme in Mailand.

Torri Risorsa: Sanierung mit Ricehouse-Platten der vier Wohntürme in Mailand.

(Foto: Ricehouse)

"Die Frage ist natürlich berechtigt. Es sind aber nicht die Materialien, die den Unterschied machen", antwortet Monterisi. "Hier ein konkretes Beispiel: Wir haben in Mailand gerade vier Wohnhaustürme - jeder acht Stockwerke hoch und mit insgesamt 400 Familien - mit Außenwanddämmungen versehen. Von den 13 Millionen Euro, die diese Sanierung gekostet hat, fielen weniger als zehn Prozent auf die Materialien."

Bauhaus und Rotes Wien

Das Ricehouse passt perfekt in das Projekt "Neues Europäisches Bauhaus", das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2020 ins Leben gerufen hat. Nachhaltiger und grüner geht wahrscheinlich nicht. Damit aber alle in die Gunst sanierter und emissionsfreier Gebäuden kommen, fehlt - nur noch - die Umsetzung. Und da könnte neben dem "Neuen Europäischen Bauhaus" auch das Beispiel "Rotes Wien" nützlich sein. Mit dem öffentlich finanzierten Gemeindebau erlöste die sozialistische Stadtverwaltung Anfang der 1920er-Jahre Hunderttausende Menschen aus unwürdigen Wohnbedingungen. Und noch heute sorgt dieses Modell dafür, dass die Miet- und Kaufpreise auf dem privaten Markt zwar steigen, aber nicht explodieren.

Quelle: ntv.de

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