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Kultautor Reng im Interview "'1974' ist ein literarisches Experiment"

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Bestsellerautor und Eintracht-Frankfurt-Fan Ronald Reng.

Bestsellerautor und Eintracht-Frankfurt-Fan Ronald Reng.

(Foto: Piper)

Ronald Reng ist Deutschlands bekanntester und erfolgreichster Fußballbuchautor. Sein "Traumhüter" ist Kult. Mit "1974" wagt er sich an ein ganz besonderes Fußballspiel, an eine ganz besondere Zeit. Mit ntv.de spricht er über die Entstehung, die Personen und die Geschichten um die WM-Partie BRD-DDR.

ntv.de: Herr Reng, Sie gelten als Deutschlands bekanntester und erfolgreichster Fußballbuchautor. Ist Ihr neues Werk "1974" auch ein Fußballbuch?

Ronald Reng: Es ist ein Buch über ein Fußballspiel. Ob es ein Fußballbuch ist, liegt in der Betrachtung jedes Lesers. In meinen Augen ist es auch eher ein Geschichtsbuch.

Also etwas Neues?

Nicht unbedingt. "1974" ist für mich ein literarisches Experiment: Ich habe versucht, durch ein Fußballspiel Zeitgeschichte zu erzählen. Es finden sich natürlich Fußballthemen in dem Buch, etwa wie der Versuch einer taktischen Spielanalyse der DDR-Mannschaft von 1974. Wer allerdings mit einem klassischen Fußballbuch rechnet, wird sich wundern.

Worum geht es?

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Es geht um die spannende Zeit der 1970er-Jahre. Eine Zeit, in der Deutschland in den Köpfen der meisten Menschen auf immer und ewig in zwei Staaten geteilt zu sein schien. Und plötzlich gibt es 1974 diesen einen Berührungspunkt zwischen der DDR und der Bundesrepublik, das erste und einzige deutsch-deutsche Fußball-Länderspiel. Just an diesem Schnittpunkt versuche ich das Leben in Ost und West zu beschreiben. Aber nach 20 Jahren eiskalten Krieges gab es damals auch erstmals eine Annäherung zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten - nicht zuletzt durch die Entspannungspolitik Willy Brandts. Das war ein historischer Einschnitt auf dem Weg der späteren Wiedervereinigung.

Gesellschaftlich war hüben wie drüben einiges los.

So könnte man das sagen. In der Bundesrepublik fragte sich die Jugend: Was darf eine Autorität noch, egal ob Eltern, Lehrer, Fußballtrainer, Polizist oder Staat. Vieles wurde liberaler, die Hierarchien wurden flacher. Und in der DDR schaute man nach dem einzigen Machtwechsel 1971 zu Erich Honecker, gespannt, ob der neue Staatsratsvorsitzende sein Antrittsversprechen umsetzen würde, vieles neu zu machen, freier zu gestalten und die Lebensbedingungen der Bürger zu verbessern. Wirtschaftlich ging es in Honeckers ersten Jahren tatsächlich sanft voran, die Einmischung ins Private wurde weniger penetrant, allerdings kassierte das Politbüro Freiheiten, die es Film und Theater gewährt hatte, schnell wieder.

Und dann spielten die beiden deutschen Nationalmannschaften gegeneinander …

Das Losglück hatte es so gewollt, dass beide Teams am 22. Juni 1974 in der Vorrunde bei der Fußball-WM in Hamburg aufeinandertrafen, Spielort war das Volksparkstadion. Freiwillig wollte die DDR nicht gegen die Bundesrepublik spielen. Die DDR-Politiker fürchteten, zu viele ihrer Bürger würden dabei ihre Begeisterung für die bundesdeutsche Elf zeigen.

Sie sind 1970 geboren. Was verbindet Sie mit dem Jahr 1974?

Ronald Reng

Ronald Reng, 1970 in Frankfurt am Main geboren, ist Deutschlands bekanntester Fußballbuchautor. Er arbeitete jahrelang als Freier Autor in London und Barcelona, verfasste zahlereiche Texte über Fußballspiele und Fußballgroßereignisse. Parallel dazu schrieb er Bücher rund um das liebste Spiel der Deutschen. Seine Bücher sind Bestseller.

1974 ist natürlich weit weg. Ich besitze logischerweise keine persönlichen Erinnerungen an 1974, allenfalls Schwingungen jener Zeit sind mir geblieben. Ich habe einzelne Ereignisse oder besser gesagt Bilder an diese Zeit: Da wären etwa die grelle Kleidung der Jugend, die langen Haare, aber auch ein Fahndungsplakat der RAF beim Metzger. Das ist noch präsent. "1974" habe ich geschrieben, wie Historiker über Goethe oder das Römische Reich schreiben: Ich habe mich auf Quellen gestützt. Mit dem Vorteil gegenüber den Spezialisten für das alte Rom, dass ich Zeitzeugen interviewen konnte. Julius Cäsar kann man ja, anders als Günter Netzer, schlecht befragen.

Apropos Recherche: Wie lange hat sie gedauert?

Drei Jahre.

Respekt! Woher stammt die Idee zu "1974"?

Es gab nicht die Idee an sich, die plötzlich da war. Vielmehr gab es kleine Funken, bei deren Zusammensetzung sich dann irgendwann eine Flamme in mir entzündete: Das Buch musst du machen! Der Tod von Horst Eckel, dem letzten 1954er-Weltmeister, und auch von Gerd Müller, dem Weltmeister von 1974 - die waren plötzlich weg und mit ihnen auch ihre Geschichten. Dazu wurde mir in der eigenen Familie bei Alltagsgesprächen mit meinen Kindern bewusst, dass es heute eine Generation von Deutschen gibt, für die es nie zwei getrennte deutsche Staaten gegeben hat. So reifte die Idee, ein Buch zu schreiben, das diese Zeit einfängt - das 50-jährige Jubiläum des einzigen deutsch-deutschen Fußballspiels schien mir der perfekte Anlass.

Im Buch erzählen Sie die Geschichten ganz verschiedener Menschen. Eintracht-Legende Bernd Hölzenbein etwa oder Gerd Kische, Konrad "Conny" Weise und Lothar Kurbjuweit. Dazu Matthias Brandt, Schauspielstar und Sohn Willy Brandts, oder die "Bella Block"-Erfinderin Doris Gercke, damals in Hamburg KP-Mitglied, oder das damalige RAF-Mitglied Klaus Jünschke. Jede Menge interessante Menschen: Wer oder welche Geschichte hat Sie besonders beeindruckt?

Interessant sind sie alle. Es sind bewegte und bewegende Lebensgeschichten. Spannend. Von Lothar Kurbjuweit etwa habe ich detailreiche Einblicke darüber erhalten, wie damals Fußballstars in der DDR gelebt haben, wie sie teilweise schwarz großzügig bezahlt wurden, aber angesichts der Wohnungsnot auch nur in Ein-Zimmer-Wohnungen lebten - aber auch, wie sie bespitzelt wurden.

Ein anderes bewegendes Porträt zeichnen Sie von Klaus Jünschke …

Mit seiner Geschichte verbindet sich die Frage: Wie bewerten wir ein Leben? Er war zehn Monate in der RAF, bei ihren Attentaten wurden Menschen getötet. Und er hat nach seiner Zeit im Gefängnis viele Jahre als Sozialarbeiter Gutes bewirkt, Kindern aus armen Verhältnissen zum ersten Mal in deren Leben einen Urlaub am Meer verschafft. Bleibt so jemand für immer der RAF-Terrorist? Das ist eine große Frage. Jeder Leser kann sie für sich anders beantworten.

Das klingt danach, dass "1974" als Standardwerk in den Geschichtsunterricht an deutschen Schulen müsste.

Dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Über das leichte Thema Fußball könnte den Schülern so das schwere Thema Geschichte und Gesellschaftspolitik der damaligen Zeit nähergebracht werden. Für die Lehrpläne bin ich aber leider nicht verantwortlich (lacht).

Mit Ronald Reng sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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