Wirtschaft

Generation Z(umutung) "50 Prozent der jungen Leute sagen, sie sind nicht leistungsbereit"

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Die "Wohlstandskinder" der Jahre 1995 bis 2010 "rennen nicht, sie schreiten auf den Arbeitsmarkt", sagt die Arbeitsexpertin und Autorin Susanne Nickel. Bootcamp war ihre erste Reaktion auf Forderungen der Generaton Z. Heute schlägt sie eine andere Lösung vor.

Die "Wohlstandskinder" der Jahre 1995 bis 2010 "rennen nicht, sie schreiten auf den Arbeitsmarkt", sagt die Arbeitsexpertin und Autorin Susanne Nickel. Bootcamp war ihre erste Reaktion auf Forderungen der Generaton Z. Heute schlägt sie eine andere Lösung vor.

(Foto: picture alliance / Everett Collection)

Hunderttausende fehlende Fachkräfte und eine "Peter-Pan-Generation", von denen mehr als eine halbe Million weder arbeiten, noch in Ausbildung oder im Studium sind? Deutschland rutscht im Ranking der Industrienationen immer weiter ab. Was passiert hier im Land der einst so Fleißigen? ntv.de fragt die Arbeitsexpertin und Autorin Susanne Nickel, wie schlimm es um den Standort steht. Ihr Buchprojekt "Verzogen, verweichlicht, verletzt. Wie die Generation Z die Arbeitswelt auf den Kopf stellt und uns zum Handeln zwingt" beginnt sie mit viel Wut im Bauch. Am Ende wartet sie dennoch mit einer versöhnlichen Lösung auf. Ihr Fazit: Viele Arbeitgeber versäumen es bei ihrer Jagd nach jungen Nachwuchskräften, auch ältere Mitarbeiter wertzuschätzen - und brocken sich und der deutschen Wirtschaft damit viele Probleme ein.

ntv.de: In Ihrem Buch zeichnen Sie ein trostloses Bild vom deutschen Arbeitsmarkt. Anlass zur Sorge gibt Ihnen die mangelnde Arbeitsmoral der Generation Z. Als Unternehmensberaterin und Coach haben Sie viele, teils auch skurrile Geschichten zu hören bekommen. Was passiert hier gerade?

Susanne Nickel: Die Wertigkeit von Arbeit hat sich dramatisch verändert. Die jüngste Generation am Arbeitsmarkt stimmt mit den Füßen ab, weil sie sehr genau weiß, wie wichtig sie für Deutschland ist. Und Unternehmen und Führungskräfte buckeln vor ihnen. Sie werfen ihnen viele Incentives oder Anreize wie iPads und Smartphones nach und werden dabei schamlos ausgenutzt.

Was bedeutet, die Generation Z stimmt mit den Füßen ab?

Junge Menschen, die sich die Sahnestückchen raussuchen können, überlegen, welches sie nehmen. Es gibt viele offene Stellen, aber junge Arbeitssuchende, mit oder ohne Ausbildung, sind Mangelware. Immer wieder stehen sie vor einem neuen Chef, der sagt, "Hey, wir brauchen dich, komm zu uns. Bei uns ist es ganz toll". Da kann man es sich leisten zu sagen: "Ich möchte den Job gerne machen, aber im Winter ist es kalt, da kann ich nicht arbeiten." So ist es einem kleinen Sanitärbetrieb ergangen. Der Chef war völlig geschockt. Passt ihnen was nicht, haben sie etwas Besseres gefunden, ziehen sie weiter.

Job-Ghosting fällt in diese Kategorie …

90 Prozent der Arbeitgeber in Deutschland haben damit 2021 bereits Erfahrung gemacht, 25 Prozent von ihnen wöchentlich! Das bedeutet, dass immer mehr junge Menschen den Bewerbungsprozess abbrechen und sich verflüchtigen wie Geister. Die Bewerber kommen entweder nicht zum Vorstellungsgespräch, brechen den Kontakt ab oder erscheinen nicht am ersten Arbeitstag. Und das Unternehmen fängt wieder von vorn an. Über die Kosten machen sich die jungen Menschen keine Gedanken. Weiterzusuchen, ist zwar verständlich, nur wäre es sinnvoll, es dem Unternehmen mitzuteilen.

Was wissen wir über diese Generation Z?

Susanne Nickel ist Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Expertin für Arbeit und Wandel.

Susanne Nickel ist Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Expertin für Arbeit und Wandel.

Bei den sogenannten Z-lern handelt es sich um die Jahrgänge 1995 bis 2010. Sie sind entweder Azubis, im Studium oder stehen am Ende ihrer Schulzeit. Ihr Credo lautet: Erst leben, dann arbeiten. Die Generation Z ist im Wohlstand aufgewachsen und oft hervorragend ausgebildet. Sie sind Social Media Natives, auch die erste Generation, die mit dem Wissen aus dem Internet groß geworden ist. Ihre Handyzeit beträgt knapp vier Stunden am Tag, Tendenz steigend. Weil sie in einer schnelllebigen Welt groß geworden sind, fordern sie Resonanz und Feedback sofort ein. Bei ihnen dreht sich alles um die eigene Persönlichkeit und das eigene Fortkommen. Ihre Forderungen sind zum Teil auch egoistisch. Unternehmen müssen wirtschaftliche Ziele verfolgen, um Arbeitsplätze zu sichern und zukunftsfähig zu sein. Die Anspruchshaltung der Generation Z kostet viel Zeit und Geld. Das macht es so bedrohlich.

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Wir reden über knapp zwölf Millionen junge Menschen, die weder ausgebildete Fachkräfte sind noch viele Berufsjahre auf dem Buckel haben. Es gibt drei weitere gestandene Generationen am Arbeitsmarkt. Könnte es sein, dass zu viel auf diese Generation projiziert wird?

Man kann nicht alle Probleme auf die Generation Z abwälzen. Aber nahezu 50 Prozent räumt laut einer Studie selbst ein, nicht so leistungsfähig zu sein. Es gibt 630.000 sogenannte NEETs. Das ist die Abkürzung für "Not in Education, Employment or Training", übersetzt: "Nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung". Wenn eine Stadt so groß wie Düsseldorf nicht arbeitet, ist das bedenklich. Wenn diese jungen Menschen, die unsere Zukunft sind, Leistungsorientierung und Wohlstand ablehnen, ist das problematisch. Deutschland fehlen Hunderttausende Fachkräfte. Da die Boomer bald alle in Rente sind, ist es wichtig, dass junge Menschen mithelfen, diese Lücke am Arbeitsmarkt zu schließen. Die Generation Z ist also immens wichtig.

Abgrenzung und Protest jüngerer Generationen hat es immer schon gegeben. Auch Hippies wollten das Bruttosozialprodukt nicht steigern. Wie unterscheidet sich diese Generation Z von den vorherigen?

Es sind Wohlstandskinder, die satt aufgewachsen sind. Das waren Hippies oder meine Generation, die Gen X nicht. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und wollte unabhängig sein und mir etwas aufbauen. In meiner Generation ging es darum, etwas zu erreichen und sich Ziele zu setzen. Wenn ich im Wohlstand groß geworden bin, kann ich Wohlstand gut ablehnen, weil ich den ja kenne und ihn normal empfinde.

Umfragen zeigen aber auch, dass zwei Drittel der 16- bis 25-Jährigen es für wahrscheinlich halten, irgendwann ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Woher soll denn das Geld dafür kommen, wenn nicht durch Arbeit?

Natürlich ist diese Generation in sich nicht homogen. In den Jahren zwischen Ende der Schulzeit und den späten Zwanzigern passiert bei jungen Menschen viel. Manche sind noch naiv, andere realistischer. Aber auch die kommen schnell zu dem Schluss, dass der Generationenvertrag nicht funktioniert und es ihnen in Zukunft nicht so gut gehen wird wie ihren Eltern. Hinter ihrer Anti-Haltung steckt ein Riesenfrust, denn dieser Generation ist klar, dass es für sie viel schwieriger wird, sich etwas aufzubauen, vielleicht eine Immobilie zu kaufen. Also, wozu dann arbeiten?

Die Wirtschaftslage ist nicht rosig. Der Fachkräftemangel kostete Deutschland allein 2022 sechs Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung. Welche Rolle spielen die älteren Beschäftigten in dieser Situation?

Das ist ein wichtiger Punkt. Unternehmen stürzen sich auf die jungen Leute, weil sie sagen, die sind dynamisch, flexibel und kosten vielleicht auch nicht so viel Geld. Womit sie allerdings einem großen Irrtum aufsitzen, weil die Generation Z sehr anspruchsvoll ist, auch finanziell. Ich sage: Warum rückt man nicht meine Generation, die X, die zwischen 1965 und 1980 Geborenen mit insgesamt 16,5 Millionen Menschen in den Fokus? Die Jüngeren sind gerade mal Mitte 40 und müssen noch über 20 Jahre arbeiten. Die Generation X ist häufig gut ausgebildet und viele haben zudem eine gewisse Resilienz erworben. Sie sind in der Corona-Pandemie deutlich besser zurechtgekommen als Jüngere. Ich appelliere immer an Unternehmen, auch Ältere einzustellen. Sie können mit einem Chef umgehen, der schwierig ist und rennen nicht gleich beim ersten kritischen Feedback weg. Aber sie fallen häufig leider durch das Raster, für die Boomer gilt das ohnehin.

Warum eigentlich? Ist es nicht viel zielführender, altgediente Beschäftigte bei Laune zu halten, ihnen Vorteile einzuräumen, wie die Vier-Tage-Woche und mehr Urlaubstage? Und ist das nicht auch der viel bessere Anreiz für junge Menschen, sich anzustrengen in einem Unternehmen?

Es braucht tatsächlich viel mehr solcher Anreize. Ich stehe absolut hinter dem Grundsatz flexibler Arbeitszeiten. Nach dem Gießkannenprinzip vorzugehen, zahlt sich meines Erachtens aber nicht aus. Man sollte den Älteren ermöglichen, nicht nur weniger zu arbeiten, sondern auch, sich weiterzuentwickeln, Führungspositionen zu übernehmen. An Lebensphasen orientierte Arbeitszeitmodelle wären wichtig. Habe ich zwei Kinder und brauche Flexibilität? Bin ich Single und habe mehr Zeit oder bin ich über 50 und pflege meine Mutter oder meinen Vater? Wir müssen hier viel flexibler werden.

Und warum wird das Offensichtliche nicht gemacht?

Weil es keine Dringlichkeit gibt. Die Jungen stimmen mit den Füßen ab, weil sie unendliche Möglichkeiten haben, und dadurch eine gewisse Macht ausspielen können. Arbeitgeber merken, sie müssen etwas tun, sonst schaffen sie es weder junge Menschen zu finden noch zu binden. Würden die ungefähr 2,5 Millionen jungen Mütter, die in Teilzeit arbeiten, ihre Wochenarbeitszeit um nur eine Stunde aufstocken, entspräche dies der Arbeitskraft von rund 70.000 Vollzeitstellen. Ich sage seit Jahren, macht keine Meetings nachmittags um fünf, wenn die Mütter nicht mehr da sind. Glauben Sie, es wurde beherzigt? Veränderungen werden nur angegangen, wenn es dringlich ist. Jetzt kommt die Generation Z ins Spiel und sagt, "Hey, wir wollen mehr Flexibilität, wir machen das so nicht mit", und plötzlich wird sich darauf eingestellt. Die Generation Z hat die Macht, Forderungen durchzusetzen, die Mütter nie erreicht haben.

Sie lassen in Ihrem Buch richtig viel Dampf ab. Haben Sie auch eine Lösung parat? Wer soll, wer wird es Ihrer Ansicht nach am Ende richten und verhindern, dass Deutschland immer weiter abrutscht?

Wir können auf keine Generation verzichten. Alle müssen mit anpacken. Wir müssen die Babyboomer und die jungen Menschen wie auch alle anderen Generationen mit einer gemeinsamen Ausrichtung ins Boot bekommen. Wir können es uns nicht leisten, noch einmal fünf oder sechs Jahre zu warten. Sonst haben wir ein totales Fiasko.

Es wird viel rund um die Vier-Tage-Woche diskutiert und gestritten. Würde die mehr Lust auf Arbeit machen?

Ich frage mich etwas ganz anderes: Warum unbedingt weniger arbeiten? Warum ist Arbeit ein "weg vom Ziel" geworden, anstatt ein "hin zum Ziel"? Arbeit darf auch Freude bereiten. Daher brauchen wir Führungskräfte, die es schaffen, gelingende Beziehungen aufzubauen und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu inspirieren und zu motivieren.

Sie kommen in Ihrem Buch immer wieder auf die Defizite bei der Erziehung zu sprechen. Die Generation Z sei dadurch verweichlicht, sie könnten keine Niederlagen ertragen. Sie fordern von Arbeitgebern gleichzeitig, noch mehr auf diese jungen Erwachsenen einzugehen. Eine verwöhnte Generation noch mehr pampern? Ist das nicht ein Widerspruch?

Am Anfang wollte ich eine gesamte Generation in ein Bootcamp schicken, damit sie mehr Disziplin und Durchhaltevermögen lernen. Aber die Studienlage, die psychischen Erkrankungen, die zunehmen, und Herkunft und Erziehung der jungen Menschen führen dazu, dass uns die Generation Z auch den Spiegel vorhält. Ich möchte sie nicht pampern. Es ist wichtig, dass die ganzen Vorurteile und alles, das man ihnen nachsagt, auf den Tisch kommt: hohe Ansprüche, schwierige Verhaltensweisen, schwache Psyche, wenig Leistungsfähigkeit. Erst dann können wir versuchen, Hintergründe zu verstehen, um Lösungen zu finden. Ein Team-Leiter hat sie mal "Peter-Pan-Generation" genannt. Peter Pan wollte nie erwachsen werden. Wir müssen dabei helfen, dass sie in die erwachsene Rolle hineinwachsen. Die jungen Menschen müssen begreifen, dass man etwas erreicht, wenn man sich anstrengt. Nur iPads zu verteilen, lehne ich kategorisch ab. Ich rate Unternehmen, lieber authentisch zu sein. Da passt dann vielleicht nicht jeder Kandidat hin, aber man holt sich auch nicht die komplett Falschen.

Sie haben fast alle DAX-Unternehmen als Kunden gehabt. Hat sich nach Ihrem Coaching viel verändert?

Es gibt noch zu wenig Bewegung, aber es gibt Bewegung. Deswegen hat die Generation Z auch die Chance, ein Booster zu sein für den Kulturwandel. Bis zu einem gewissen Grad. Davon werden im besten Fall alle profitieren.

Mit Susanne Nickel sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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