Wirtschaft

Kostbares Gut: Pferdesperma Hier lernen Zuchthengste arbeiten

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Hinter dem Bock, auf den die Hengste aufspringen, steht die "Animierstute".

Hinter dem Bock, auf den die Hengste aufspringen, steht die "Animierstute".

Im niedersächsischen Celle wird eine wertvolle Substanz produziert: Pferdesperma. Um an den Rohstoff zu kommen, ihn aufzubereiten und schlussendlich an die Kunden zu bringen, ist viel Arbeit nötig - und ein bisschen Geduld. Vor allem, wenn die Hengste noch lernen müssen, was genau ihr Job ist.

Carcassonne macht einen gewaltigen Satz, geht auf die Hinterhufe und lässt seinen Körper fallen auf das, was er für das Hinterteil einer Stute hält. Sein Penis, groß wie ein Unterarm, klatscht gegen den in Frischhaltefolie eingewickelten falschen Pferdehintern. Fliesen an den Wänden, Fliesen auf dem Boden: Carcassonnes Hufe klackern bei jedem Schritt. Er tänzelt nach rechts. Sekunden später hat Alfred Habermann den jungen Hengst wieder mit allen Hufen auf dem Boden. Fehlversuch.

"Dass sie draufspringen, dass sie sich den Samen abnehmen lassen", das alles müssten junge Zuchthengste wie Carcassonne erst einmal lernen, sagt Habermann. Unter dem grünen Kittel trägt er Hemd und Pullover, seine rötlichen Wangen sauber rasiert. Wie lernt ein Hengst das Absamen? Habermann schmunzelt. "Ausprobieren", sagt er. Das funktioniere wie beim Menschen: "Junger Mann, alte Dame." Den Job der alten Dame teilt sich Habermann heute mit einem Kollegen und einer Stute.

Die drei haben einen ökonomisch gewichtigen Auftrag: Sie sollen Carcassonne um sein Sperma erleichtern. Habermann hat damit Erfahrung, 1977 hat er die Ausbildung zum "Gestütshilfswart" begonnen. Seit fast 30 Jahren leitet er die Deckstelle des niedersächsischen Landgestüts.

In Adelheidsdorf, kurz vor Celle, leben rund 40 Zuchthengste und knapp 3000 Menschen. Die Samen der Hengste aufbereiten, verschicken und einpflanzen - das macht Habermann möglich. Er koordiniert die Arbeit im Deckraum, plant, wann welches Pferd an der Reihe ist, wer wann auf das falsche Hinterteil darf. Dort nimmt Habermann jedem einzelnen Sperma ab.

Fünf Kilometer entfernt steht Rebecca Köpcke auf dem jahrhundertealten Gestüt in Celle und sagt, sie sei froh über die künstliche Befruchtung. Sie hat Tiermedizin studiert, zwei Tage nach der letzten Prüfung fing sie am Landgestüt an. Das war vor einem Jahr. Die natürliche Befruchtung habe nicht nur die Stuten, sondern auch die Hengste wesentlich stärker beansprucht, sagt Köpcke: "Jedes Mal da hochspringen - das belastet natürlich auch Bänder und Gelenke mehr."

Früher Fortbewegungsmittel, heute Luxusprodukt

Habermann kommt aus einer Pferdefamilie, Köpcke saß mit acht Jahren im Sattel. Habermann hat noch ein Jahr bis zur Rente, Köpcke ist seit einem Jahr dabei. Habermann hat die künstliche Befruchtung auf dem Landgestüt Celle mit aufgebaut, Köpcke regelt in Celle gerade den Embryotransfer: "Ich kann Embryonen aus einer Stute in eine andere Stute pflanzen. Das ist doch mal mega krass, oder?" Köpcke wird in Zukunft das Gestüt prägen, Habermann hat das über Jahrzehnte getan.

Albert Habermann mit dem Rohr, in das der Pferdepenis gesteckt wird.

Albert Habermann mit dem Rohr, in das der Pferdepenis gesteckt wird.

"Am Ende muss ein gesundes Fohlen rauskommen", sagt Köpcke, das sei ihr wichtig: "Ob das jetzt eins ist, das über zwei Meter springen kann oder nicht, das ist mir ziemlich egal." Habermann interessiert schon hin und wieder, wie ein Fohlen sich entwickelt; wenn er die Züchter lange kennt, oder die Eltern des Pferds. Deswegen seien Junghengste wie Carcassonne so interessant für ihn: "Man kennt vielleicht den Vater von dem Hengst und den Vater dazu", erklärt Habermann. Er erinnere sich dann: "War das ein fleißiger Decker? Oder war das auch ein Laumann, dem man eine halbe Stunde in die Augen gucken musste, bis sich was tat? "

Das Gestüt in Celle und seine Pferde gehören dem Land Niedersachsen. Habermann ist Beamter, Carcassonne kollektives Eigentum, der Preis für sein Sperma subventioniert. Als das Gestüt 1735 gegründet wurde, zogen Pferde Kutschen, Pflüge oder Kanonen. Mit der Zucht betrieb Kurfürst Georg II. gewissermaßen Infrastrukturaufbau, Wirtschaftsförderung und Rüstungspolitik zugleich. Heute seien Pferde Luxusprodukte, sagt Habermann. Niemand brauche heute noch ein Pferd. Aber in Niedersachsen hängen an den Tieren immer noch Arbeitsplätze - und jede Menge Stolz.

Land schießt jährlich 4,5 Millionen zu

Niedersachsen ist nach wie vor "Pferdeland Nummer Eins", schreibt die Landesregierung. Rund 35 Prozent der deutschen Zuchtpferde stünden in Niedersachsen, etwa 50.000 Arbeitsplätze hingen hier direkt oder indirekt am Pferdesport und der Pferdezucht. Den so generierten Jahresumsatz schätzt die Regierung auf eine Milliarde Euro. Nach Berechnungen des Reitsportbundesverbands wäre das ein gutes Siebtel des in Deutschland mit Pferden umgesetzten Geldes. Damit das so bleibt, steckt das Bundesland jedes Jahr rund 4,5 Millionen Euro in sein Landgestüt.

Habermann trägt dort große Verantwortung, auch finanziell. Im Laufe des Vormittags gehen durch seine Hände die Samen fast aller Adelheidsdorfer Zuchthengste und damit Hunderttausende Euro. Eine Portion von Carcassonnes Samen etwa kostet 750 Euro; ein guter Deckhengst produziert schon mal zwanzig Portionen mit einer Ejakulation.

Carcassonne soll einmal ein guter werden. Als "Sportler der Zukunft" wird er in Katalogen und im Netz beworben, für rund 100.000 Euro hat das Landgestüt ihn ersteigert. Das ist mehr als ein Zehntel der Summe, die dem Landgestüt dieses Jahr für den Ankauf von Zuchthengsten zur Verfügung steht. Der "stattliche Schimmel" soll Züchterinnen und Züchtern Genmaterial liefern, um Pferde für das Springreiten heranzuziehen. Dass für ein einzelnes Tier solche Summen gezahlt werden, daran haben auch Habermann und die anderen ihren Anteil. Sie verhelfen Carcassonne zu einer Fruchtbarkeit, die er aus eigener Kraft nie haben könnte.

Zur Not tiefgekühlt nach Australien

Sie prüfen Carcassonnes Samen unter dem Mikroskop, zentrifugieren das Ejakulat, schöpfen körpereigene Sekrete ab und ersetzen sie durch Nährstoffe, damit möglichst viele von Carcassonnes Spermien auch nach dem Transport noch fröhlich zappeln. Das Team in Adelheidsdorf zieht das fertige Produkt in Spritzen auf und verschickt die in gekühlten Styroporboxen durch ganz Europa. Wenn es sein muss, werden die Spermien tiefgefroren und in flüssigem Stickstoff nach Australien geflogen.

Schon Carcassonnes Mutter, seine Großmutter sowie die Urgroßmutter waren erfolgreiche Springpferde.

Schon Carcassonnes Mutter, seine Großmutter sowie die Urgroßmutter waren erfolgreiche Springpferde.

Als Albert Habermann Ende der 1970er anfing mit der Pferdezucht, mussten die Hengste noch auf die Stuten springen. Züchter fuhren ihre Stuten zu den Hengsten. Wenn die Stute nicht trächtig wurde, fuhren sie noch mal. Das Verletzungsrisiko war enorm - für alle Beteiligten, auch die Menschen. Stuten wehrten sich und traten aus, beschlagene Hengste schlitzten mit ihren Hufeisen die Bäuche der Stuten auf.

Auch wenn die Hengste in Adelheidsdorf nicht mehr auf Stuten springen, einen gemütlichen Bürojob hat Habermann nicht: Zwei mal muss er Carcassonne heute wieder an der Trense von der Stutenattrappe ziehen, weil der Gaul die Orientierung verliert und plötzlich quer auf der schmucklosen Apparatur hängt. Ein ausgewachsener Hengst wiegt mehr als 500 Kilogramm, Habermann trägt im Deckraum deshalb immer Helm. "Will schließlich noch bisschen was von meiner Rente haben", meint er. Nur noch ein Jahr, da muss man nichts riskieren.

Gut zwanzig Milliliter, Job erledigt

Das Pferdesperma wird in vorgewärmten Babyfläschchen aufgefangen.

Das Pferdesperma wird in vorgewärmten Babyfläschchen aufgefangen.

Carcassonne springt ein drittes Mal auf die falsche Stute. Seine Hinterbeine tänzeln wieder nach rechts, aber Habermann kann Carcassonne mit der Trense in seiner Hand so dirigieren, dass er längs auf der Attrappe bleibt und sich nicht quer stellt. Habermanns Helfer bekommt Carcassonnes Penis zu fassen und führt ihn in das Rohr. Carcassonne schiebt mehrmals kräftig seinen Körper auf den künstlichen Pferderücken, er grunzt, seine Augen sind weit aufgerissen.

Die Muskelstränge zucken unter Carcassonnes grau gesprenkeltem Fell. Er wirft noch einmal den Kopf in den Nacken, dann gleitet er langsam und mit leeren Augen hinab und steht wieder mit allen vier Hufen auf dem Fliesenboden. All die Anspannung, all die wilde Kraft sind gewichen aus dem riesigen Körper. Habermanns Helfer löst ein Fläschchen von dem Rohr, in dem eben noch Carcassonnes Glied steckte - darin eine milchige Flüssigkeit, gut zwanzig Milliliter. Habermann klopft Carcassonne dreimal kräftig auf die Flanke. Job erledigt.

Quelle: ntv.de

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