Redelings Nachspielzeit

"Schlimme Wahrheiten" enthüllt Als das "Eintracht-Tribunal" den Ex-Nationalkeeper hochkant rauswarf

Uli Stein machte sich in Frankfurt zu viele Feinde.

Uli Stein machte sich in Frankfurt zu viele Feinde.

Vor dreißig Jahren spielte sich in Frankfurt Spektakuläres ab. Der ehemalige Nationaltorwart Uli Stein wurde nach einem "Eintracht-Tribunal" aus dem Verein geworfen. Zahlreiche Mitspieler hatten ihren Kollegen schwer belastet. Unter Tränen erzählte ein Spieler, dass Stein gesagt haben solle: "Dich mache ich als erstes fertig!"

Am Ende musste sogar die Polizei am Riederwald vorfahren. Frankfurts Präsident Matthias Ohms und Vizepräsident Bernd Hölzenbein fürchteten um ihre Sicherheit. Nur Minuten zuvor hatten sie nicht nur den Torwart der Eintracht, Uli Stein, hochkant rausgeworfen, sondern zudem auch den aktuellen und beliebten Trainer der Frankfurter, Klaus Toppmöller. "Wir haben die Vorfälle so schlimm nicht für möglich gehalten", erklärten die Führungskräfte der Eintracht nach einem in dieser Form wohl einzigartigen Vorgang in der Ligageschichte - und schoben noch einen pikanten Satz hinterher: "Wir müssen uns den Vorwurf machen, nicht früher eingegriffen zu haben." Doch was war damals, im April vor dreißig Jahren, in Frankfurt genau geschehen?

Eine Woche nach dem "Eintracht-Tribunal", wie eine große deutsche Sportillustrierte zwar etwas reißerisch, aber im Kern durchaus treffend die gespenstischen Szenen am Riederwald nannte, meinte der ehemalige Mitspieler von Uli Stein, der kreative Mittelfeldmotor Maurizio Gaudino: "Meiner Frau habe ich gesagt: 'Du kannst dir gar nicht vorstellen, was bei uns los'. Und dann hat die Mannschaft tatsächlich einen Spieler abgeschossen, der uns mehr als nur ein Spiel gerettet hat."

"Du Depp, du Arschloch!"

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Doch während Gaudino seinen Keeper noch lobte ("Er sprach Missstände immer direkt an"), sahen das seine Kollegen in der Mehrzahl anders. Einer nach dem anderen wurde Anfang April 1994 in ein Zimmer geholt, in dem neben Ohms und Hölzenbein auch der Schatzmeister Joachim Erbs und der Ehrenspielführer Dieter Lindner saßen. Und dann wurden die Spieler aufgefordert, zu sagen, wie ihr Verhältnis zu Stein sei.

Besonders gravierend und schockierend war damals die Aussage des polnischen Stürmers Jan Furtok, der sich bereits kurz zuvor dem Manager und Vizepräsidenten der Eintracht, Bernd Hölzenbein, offenbart hatte, wie die "SportBild" berichtete. Furtok erzählte unter Tränen: "Der Uli macht mich fertig. Körperlich bin ich völlig fit, aber der hat mir mit seinen Beschimpfungen das ganze Selbstvertrauen genommen. Am letzten Dienstag hat er mich angeschrien: 'Du Depp, du Versager, du Arschloch, du Penner, dich mache ich als erstes fertig.' Ich kann nachts schon nicht mehr schlafen, weil ich dauernd an den denken muss." Auch andere Spieler berichteten in ihren Anhörungen von Beschimpfungen, üblen Beleidigungen und Ausrastern. Für Präsident Matthias Ohms stand damals schnell fest: "Der Schmelztiegel war seit geraumer Zeit am Kochen. Nun ist er übergelaufen!"

Auch wenn die Vorgänge bei der Frankfurter Eintracht in ihrer Dimension selbst die Experten verwunderten, konnte der Kern des Problems die Fußballfans in Deutschland nicht mehr wirklich überraschen. Denn Uli Stein galt quasi seit dem Beginn seiner Karriere als ein echter Spezialtyp, der zu ungewöhnlichen Aktionen neigte. So ließ er beispielweise als ganz junger Bielefelder Torhüter in der Saison 1978/79 gleich am ersten Spieltag beim MSV Duisburg absichtlich einen Ball ins Tor gehen, weil er sich tierisch über seine unachtsamen Vorderleute aufregt hatte. Seine irre Begründung nach dem Spiel: "Ich wollte denen mal zeigen, wie das ist, wenn man Patzer macht!".

Und auch die Spielzeit 1987/88 startete für Uli Stein spektakulär. Beim Supercup zwischen Bayern München und dem Hamburger SV streckte der HSV-Keeper den Doppel-Torschützen der Bayern, Jürgen Wegmann, mit einem Faustschlag nieder. Stein sah völlig zu Recht die Rote Karte und wurde umgehend vom Hamburger SV entlassen. Die Liga war geschockt.

Nur ein Jahr später, als Torwart der Eintracht, ging die Saison für Uli Stein wieder richtig gut los. Die neue Spielzeit war noch keine 75 Minuten alt, da gab es bereits den nächsten großen Aufreger. Frankfurts Torwart verließ nach dem 1:0 durch Bayerns Klaus Augenthaler das Spielfeld und lehnte sich demonstrativ an die Werbebande. Schiri Witke zögerte keine Sekunde, eilte zum Torwart und zeigte ihm die Gelbe Karte. Doch anstatt endlich zur Vernunft zu kommen, applaudierte Stein dem Schiri auch noch - und sah daraufhin folgerichtig die Rote Karte.

"Normalerweise muss ich ihn umbringen"

Hans Kindermann, der Chef des DFB-Kontrollausschusses, der in der Fußballszene nur der "Chefankläger" genannt wurde, hatte häufiger mit Uli Stein zu tun - und machte deshalb auch aus seinem Herzen keine Mördergrube, als er den Eintracht-Keeper nach einem wiederholten Vorfall kurz und knapp als "charakterlos, kriminell und menschlich fies" bezeichnete.

Stein wird dieses Urteil möglicherweise nicht einmal verwundert haben, schließlich erzählte er in seinem Buch "Halbzeit. Eine Bilanz ohne Deckung" höchstpersönlich selbst davon, wie er seinem Mitspieler Andreas Möller, dem er eine große Mitschuld an der so unglücklich im Ostseestadion verpassten Meisterschaft 1992 gab ("Jetzt überkommt mich die Gewissheit, dass wir das Spiel in Rostock gewonnen hätten, wenn er nach einer Stunde ausgewechselt worden wäre. Jeder Reservespieler ist balltechnisch zwar schlechter, hätte sich aber die Lunge aus dem Leib gerannt") direkt nach dem Spiel körperlich beinahe sehr nahe kam: "Während er nickt, hole ich weit aus - und haue ihm nicht aufs Maul."

Auch der damalige Coach der Frankfurter, Dragoslav Stepanovic, verband eine Art Hass-Liebe zu Stein. Als der Torwart ihm eines Tages "Ahnungslosigkeit" vorwarf, konterte der Trainer: "Es interessiert mich nicht, was der babbelt. Der ist so aufgeladen und erzählt Scheiße. Normalerweise muss ich ihn umbringen. Aber dann sehe ich seine Leistung und bekomme so ein großes Herz."

"Intrige!"

Stepanovics' Nachfolger Klaus Toppmöller musste schließlich gemeinsam mit seinem Torhüter gehen, weil er bis zum Schluss an Uli Steins Seite gestanden hatte. So hatte Toppmöller unter anderem öffentlich verkündet, dass Stein, solange er Trainer in Frankfurt sei, im Tor der Eintracht stehen würde. Das wurde ihm im April 1994 zum Verhängnis, denn Uli Stein war unter den Umständen und nach den Enthüllungen der "schlimmen Wahrheiten" über ihn nicht mehr zu halten - auch wenn er selbst stets betonte, Opfer einer "Intrige" geworden zu sein.

Pikanterweise kehrte der Torhüter damals zum Hamburger SV zurück - also zu dem Verein, der ihn nur wenige Jahre zuvor selbst hochkant rausgeschmissen hatte. Aber genau diese Wendung der Geschichte passte zu Uli Stein und seiner außergewöhnlichen wie turbulenten Karriere. Und dennoch wird er sich selbst sicherlich häufig genug gefragt haben, was alles noch in seiner Laufbahn möglich gewesen wäre, wenn er seinem eigenen Motto nicht immer so impulsiv gefolgt wäre: "Lieber mal die Klappe aufreißen, als mit einer Scheuklappe durchs Leben gehen."

Quelle: ntv.de

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