Politik

Große TV-Arena der Parteichefs "Die Ampel krankt am unterschiedlichen Staatsverständnis"

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Die Runde der Parteivorsitzenden zum Abschluss des Ludwig-Erhard-Gipfels wurde von RTL/ntv-Politikchef Nikolaus Blome (l.) moderiert.

Die Runde der Parteivorsitzenden zum Abschluss des Ludwig-Erhard-Gipfels wurde von RTL/ntv-Politikchef Nikolaus Blome (l.) moderiert.

(Foto: ntv)

Die Analyse des Abends kommt von CDU-Chef Merz: Der Unterschied zwischen den Ampel-Parteien sei einfach zu groß. Aber was folgt daraus? Und dann will selbst FDP-Vize Kubicki seinem Freund "einen einschenken".

Gegen Ende der Debatte weist Moderator Nikolaus Blome auf die zentrale Erkenntnis des Abends hin. Vor allem in der Zeit der Großen Koalition hätte man häufig den Eindruck gehabt, dass die Parteien der Mitte letztlich alle irgendwie "eine Soße, ein Brei" seien. Das sei jedoch offenkundig nicht so.

Gerade beim Thema Sozialstaat wird munter gestritten in der großen Runde zum Abschluss des dreitägigen Ludwig-Erhard-Gipfels am Tegernsee. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wirbt um Verständnis, dass eine "sehr große Sozialstaatsreform" wie die von der grünen Familienministerin Lisa Paus geplante Zusammenlegung von staatlichen Leistungen zur Kindergrundsicherung Aufwand schaffe: Es könne sein, dass es für den Staat komplizierter wird, damit es für die Familien einfacher wird. Dennoch solle die Kindergrundsicherung am Ende keine neuen Stellen in der Verwaltung schaffen, zumal es dafür ohnehin kein Personal gebe. "Wir müssen es schaffen, dass es auf beiden Seiten einfacher wird", also nicht nur für die Familien, sondern auch für den Staat.

CDU-Chef Friedrich Merz dagegen unterstellt der Ampel, eigentlich ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen zu wollen: Bedürftigkeit sei für die Koalition - zumindest für einen Teil davon - nicht die zentrale Kategorie in der Sozialpolitik. In der Ampel gebe es ein unterschiedliches Staatsverständnis bei Grünen und SPD einerseits und bei der FDP andererseits, "und daran krankt die Politik dieser Bundesregierung, weil sie sich untereinander nicht einig werden, insbesondere in der Sozialpolitik", kritisiert Merz.

Esken verteidigt "aktivierenden Sozialstaat"

Die Diskussion zeigt, dass sein Befund richtig ist. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki warnt davor, den Leuten einen "Leistungsanreiz" zu nehmen. Dass ukrainische Flüchtlinge in Deutschland Anspruch auf Bürgergeld haben, sei "ineffizient", sagt er: "Wir müssen uns die Frage stellen, warum in Dänemark 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge arbeiten, bei uns aber nur 30." Kubicki vertritt FDP-Chef Christian Lindner, der als Bundesfinanzminister an der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Washington teilnimmt und deshalb nicht zum Ludwig-Erhard-Gipfel kommen konnte.

Esken dagegen fragt, wie man denn sagen könne, der Sozialstaat sollte reduziert werden auf "die, die wirklich bedürftig sind". Das sei doch jetzt schon so, der Sozialstaat sei "ein aktivierender", der Menschen aus der Bedürftigkeit heraushole. Grünen-Chefin Ricarda Lang weist auf einen Widerspruch hin: Man könne nicht gleichzeitig die Bürokratie senken und "ganz genau die Bedürftigkeit prüfen". Beide Interessen seien berechtigt, da müsse man einen Ausgleich finden. Sie verteidigt, dass etwa das Wohngeld ausgeweitet worden sei, da durch die steigenden Mieten auch "okay" verdienende Menschen in Städten wie München und Berlin Probleme hätten: "Ein Sozialstaat, der nur ganz, ganz unten ansetzt, der sorgt dafür, dass viele ganz, ganz unten landen." Es sei besser, anzusetzen, bevor die Leute in eine finanzielle Schieflage geraten.

Merz steht in dieser Debatte auf der Seite der FDP: Der Ausbau des Sozialstaats geht ihm zu weit. Aber was bedeutet sein Befund politisch? Lang widerspricht ihm gar nicht in seiner Analyse der Unterschiede beim Staatsverständnis: Man merke ja, wie unterschiedlich die drei Parteien seien. "Wenn man ehrlich ist, wird es in Zukunft fast nur noch Koalitionen geben, auf die das zutrifft."

"Agenda 2030"

Der Auftakt der Diskussion hatte noch nach Einigkeit ausgesehen. Auf die Bitte, die Lage der deutschen Wirtschaft in einem Wort zu beschreiben, sagte Merz: "Angespannt". Auf Nachfrage ergänzte der CDU-Vorsitzende seinen Befund: "Sehr angespannt." Grünen-Chefin Lang übernahm den Zusatz: "Sehr herausfordernd", Kubicki sagte: "Herausfordernd schlecht." Esken äußerte sich "sorgenvoll".

Eigentlich wäre eine "Agenda 2030" nötig, sagte Merz in Anspielung auf die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung, aber es gebe in der Bevölkerung keinen Sinn für die Dringlichkeit der Herausforderungen. Die Arbeitslosigkeit sei signifikant niedriger als vor zwanzig Jahren, "aber der Kapitalabfluss aus der deutschen Volkswirtschaft ist sehr hoch".

Kubicki stimmt dem zu: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft habe massiv gelitten. Über die von der FDP geforderte "Wirtschaftswende" äußert er sich ironisch: "Wer bin ich, den großen Worten meines großen Vorsitzenden zu widersprechen? Christian Lindner spricht von einer Wirtschaftswende, die wir brauchen - wir brauchen ja lauter Wenden." Diese Wende müsse aber groß ausfallen. "Das muss wirklich ein Wumms werden."

Auch Ricarda Lang kann sich etwas wie eine Agenda 2030 vorstellen. Die Formel selbst gefällt ihr allerdings nicht: "Nicht mein Lieblingsbegriff, kann man sich vorstellen."

Und dann will Kubicki noch Merz "einen einschenken"

Beim Streit um die Energiekosten kommt es zu einem kuriosen Wortwechsel. Blome fragt, ob man den Leuten nicht sagen müsse, dass energieintensive Industrien in Deutschland keine Zukunft haben. Lang will davon nichts wissen: "Ich will, dass wir die energieintensive Industrie in Deutschland halten." Kubicki interveniert: "Sie sehen mich, was selten vorkommt, etwas sprachlos", denn was an praktischer Politik passiere, sei das genaue Gegenteil. Lang ergänzt: "Mit der FDP in der Regierung." Da wirkt Kubicki schon wieder etwas sprachlos. Er setzt zu einer Antwort an: "Ich leugne die Fakten ja nicht, wir regieren zusammen." Da grätscht Merz ihm rein: "Ist das so?" Gelächter im Saal. Esken weist darauf hin, dass die Koalition zusammen die Stromsteuer gesenkt und die EEG-Umlage vorzeitig abgeschafft habe.

Kubicki, der seine Sprachlosigkeit offenbar überwunden hat, unterbricht: "Vielleicht darf ich meinem Freund Friedrich Merz jetzt auch mal einen einschenken." Die meisten aktuellen Probleme seien "nicht von dieser Regierung verursacht" worden. So hätten Union und FDP 2011 gemeinsam den Atomausstieg beschlossen, ohne einen Netzausbau zu planen. Ihn nerve, wenn gesagt werde: "Die sind blöd da oben."

Das sage er ja gar nicht, kontert Merz: "Nur, wer von uns beiden war damals im Bundestag, du oder ich?" Kubicki: "Moment! Da sieht man die Geschichtsvergessenheit von Friedrich Merz. Ich war auch nicht im Bundestag."

Wie Merz hält Kubicki den Atomausstieg für einen Fehler. Er glaube nicht, dass "Deutschland gut damit fährt, in Europa einer der ganz wenigen oder eine der ganz wenigen Nationen zu sein, die sich mit der Frage einer Nutzung der Kernenergie gar nicht mehr beschäftigen will".

Auch beim Thema Staatsverschuldung sind die Fronten klar. Lang weist darauf hin, dass "in der ganzen Bundesrepublik, von Wirtschaftsweisen und von CDU-Ministerpräsidenten", darüber diskutiert werde, ob die Schuldenbremse in ihrer heutigen Form noch richtig sei. Sie will zwar nicht "die laufenden Kosten" des Landes mit Schulden finanzieren, wohl aber "Investitionen in die Zukunft". Merz hält das für einen Irrweg: "Wir gehen diesen Weg in die zunehmende Verschuldung unter Verzicht auf jede Veränderung und jede Reform in jedem anderen Bereich nicht mit, um das mal sehr klar hier zu sagen."

Quelle: ntv.de

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