Wirtschaft

Produktschwemme aus China "Protektionismus ist unsere beste Chance"

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Im Hafen von Yantai stehen Autos zum Export bereit.

Im Hafen von Yantai stehen Autos zum Export bereit.

(Foto: VIA REUTERS)

China flutet Europa mit Billigwaren, weil der Konsum im Land selbst schwächelt. Ein europäischer Protektionismus sei jetzt die richtige Antwort - inklusive Importverboten und Strafzöllen, sagt Experte Andreas Fulda.

Statistiken über China sind meistens mit Vorsicht zu genießen. Daher die Frage an Sie: Wie geht es China wirklich?

Andreas Fulda: China steckt in einer sehr verfahrenen Situation. Das Land kämpft noch immer mit den Folgen seiner Zero-Covid-Politik. Wirtschaftlich mussten viele Unternehmen Rückschläge hinnehmen. Und bei den Menschen haben kritische Denkprozesse eingesetzt, was für die chinesische Regierung natürlich gefährlich ist.

Bleiben wir zunächst bei der Wirtschaft: Die chinesische Bevölkerung sitzt auf so viel Geld wie nie zuvor. Das Einzige, was ihr zum Konsum fehlt, ist das Vertrauen. Oder nicht?

Da bin ich skeptisch. Das Problem bei den Spareinlagen ist, dass Chinesen gar nicht sparen wollen, sondern müssen. Das liegt am Gesundheitssystem, das keinen ausreichenden Schutz bietet. Wenn ich in China an Krebs erkranke, muss ich selbst für die Behandlung zahlen. Das fehlt dann allerdings beim Binnenkonsum.

Das war ja früher nicht anders, es bleibt also ein Vertrauensproblem. Warum konnte die chinesische Regierung dieses Vertrauen nicht zurückgewinnen?

Tatsächlich ist der Optimismus der Nullerjahre einem hartnäckigen Pessimismus gewichen. Dafür gibt es mehrere unterliegende Gründe - hat aber vor allem mit dem Aufstiegsversprechen zu tun. Viele junge Chinesen haben gelernt, dass gute Bildung nicht automatisch zu guten Jobs führt. In vielen Bereichen reichen die Gehälter von gut ausgebildeten Menschen nicht aus, um gute Lebensbedingungen für eine junge Familie zu schaffen. Die Folge ist etwas, das wir im Westen als Slacker-Generation bezeichnen.

Slacker-Generation?

Ja, eine Generation mit geringer Anpassungs- und Leistungsbereitschaft. Eine Generation, die das Aufstiegsversprechen stark hinterfragt.

Oder gleich im Ausland sucht?

Ja, auch das sehen wir. Es gibt zwei Tendenzen: Die einen verweigern sich dem Druck in China, das ist der sogenannte Tang-Ping-Trend. Die anderen verlassen das Land gleich ganz, was das Wort Runxue beschreibt. Das sieht man zum Beispiel schon an der gestiegenen Zahl an Auswanderungsanträgen nach Nordamerika.

Um noch einmal auf die Spareinlagen zurückzukommen: Viele Marktbeobachter sehen darin ein riesiges Comeback-Potenzial für die Weltwirtschaft. Sie etwa nicht?

Ach, dieser sogenannte Kodak-Traum wurde schon so oft geträumt. Wenn nur jeder Chinese eine Kodak-Filmrolle kauft, habe ich schon mal 1,3 Milliarden Rollen verkauft. In digitalen Zeiten besteht dieser Markt natürlich nicht mehr. Aber auch heute sollte man sich nicht zu viel erhoffen. Die Ersparnisse in China werden dauerhaft höher bleiben. Wer kann, investiert noch in die Bildung seiner Kinder. Ansonsten wird aber viel Geld zurückgehalten.

Das kann keine Regierung der Welt wollen.

Andreas Fulda

Andreas Fulda ist Politikwissenschaftler und Experte für die Beziehungen zwischen China und der Europäischen Union. Er lehrt als außerordentlicher Professor an der Universität Nottingham.

Nein, es ist ein Zeichen für das Scheitern der Wirtschaftspolitik, denn das vorhandene Kapital wird nicht produktiv eingesetzt. Eigentlich müsste die chinesische Regierung jetzt etwas tun, um die Binnennachfrage zu stärken. Für diese Situation gibt es aber kaum kurzfristige Lösungen, weil die kompletten Rahmenbedingungen nicht stimmen. Klar ist auf jeden Fall, dass sich China nicht - wie sonst - aus der Krise heraus exportieren kann, weil das zu starken Gegenreaktionen führen wird.

Aber genau diesen Versuch erleben wir doch gerade. Die Chinesen verramschen ihre Überproduktion hierzulande zu Dumpingpreisen - Stichwort: Solarpaneele und Autos. Wie sollten wir in Europa auf diesen offensichtlichen Preiskampf reagieren?

Schwierige Frage mit mehreren Antworten. Das Grundproblem sind die WTO-Regeln, die es sehr schwer machen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle herzustellen. China hat staatliche Subventionen, mit denen Europa nicht konkurrieren kann - vor allem im Solarbereich. Dazu sind die Umweltstandards niedriger, ganz zu schweigen von den Sozialstandards. Insofern halte ich es für völligen Quatsch, dass Europa nicht protektionistisch sein soll. Es ist unsere beste Chance.

Protektionismus als Chance? Da würden viele Konzernlenker wohl widersprechen.

Ja, das würden sie. Aber wir sehen bei Solarpaneelen, wohin das führt. Anfang der 2010er-Jahre wurde nicht auf den Preiskampf reagiert, wodurch die führende europäische Solarindustrie zerstört wurde. Das muss man so hart sagen. Und jetzt wollen die Chinesen das Ganze mit der Automobilbranche wiederholen. Die Antwort darauf können also nur Importverbote und Strafzölle sein. Mich wundert es daher sehr, wenn deutsche Automobil-CEOs China zur Seite springen und das Gegenteil behaupten.

Ist das so verwunderlich? China würde doch sofort ebenfalls mit Strafzöllen reagieren.

Es ist ja nicht so, dass deutsche Autos in großem Stil nach China exportiert werden. Sie werden in China hergestellt, für den chinesischen Markt. Die Debatte zeigt aber ein Grundproblem: Die Automobilhersteller und damit Deutschland sind erpressbar. Das hat sich im Anschluss an eine Veranstaltung 2019 gezeigt, als der chinesische Botschafter offen mit Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Autobauer gedroht hat für den Fall, dass Huawei von 5G ausgeschlossen wird. Diese Drohung wirkt bis heute im politischen Berlin. Die Autobauer und ihr China-Exposure sind die Achillesferse von Deutschland.

Ist das denn nur Gerede, oder würde China tatsächlich Ernst machen? China hätte schließlich auch etwas zu verlieren.

Die chinesische Staatsführung würde Ernst machen. Die aktuelle Lage ist aber deutlich komfortabler für sie. Auch wenn ich es anders bewerte - die Bundesregierung schätzt die vier Konglomerate VW, BMW, Daimler und BASF als systemrelevant ein. Und solange sie das tut, können diese Unternehmen enorme Risiken eingehen und geopolitische Brandherde einfach ignorieren. In den vier Firmen wird keine echte Taiwan-Strategie erarbeitet. Sie gehen eher davon aus, dass die Bundesregierung sie im Fall einer harten Entkopplung von China nach einem Krieg in der Taiwanstraße entschädigen würde.

Wie realistisch ist denn ein Angriff auf Taiwan - und wann?

Das kann natürlich keiner genau vorhersagen. 2027 steht als Zeitraum immer wieder im Raum. Dazu gibt es aber unterschiedliche Beurteilungen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat übrigens eine Studie erstellt, in dem es dieses Szenario für Deutschland durchrechnet. Das zeigt, dass dieses Risiko in Teilen der Bundesregierung angekommen ist. In der nationalen Sicherheitsstrategie und den pazifischen Leitlinien wird Taiwan aber nicht erwähnt. Das finde ich sehr bedenklich.

Das Taiwan-Risiko scheint die Bundesregierung also in Teilen eingepreist zu haben - VW, BMW, Daimler und BASF eher weniger.

Ja, wobei die Folgen unterschiedlich wären. BMW würde einen Taiwan-Schock im Zweifel wohl überleben. Bei VW und BASF wäre ich da schon skeptischer.

Und dennoch wollen viele Unternehmen weiter in China investieren. Eine Zeit lang galten benachbarte Regionen wie Vietnam und Indien als Option. Wenn ich als Unternehmen vor dieser Entscheidung stehe: Was sollte ich bedenken?

Wer in Autokratien investiert, hat keine Rechtssicherheit. Das Problem ist nicht, dass man per se keinen Handel mit Autokratien betreiben sollte, sondern dass dieser Handel früher oder später als politische Waffe eingesetzt wird.

Sehen Sie denn stärkere Bemühungen der chinesischen Regierung, westliche Unternehmen anzulocken, um die Überkapazitäten zu füllen?

Diese Bemühungen gibt es immer, und insofern ist das auch kein staatlich verordneter Schlussverkauf. Der chinesische Staatskapitalismus ist weder an Freihandel interessiert noch an reinem Protektionismus. Wir nennen diese Form Power Trading. Es geht darum, Abhängigkeiten zu schaffen, sich in jedem Land eine eigene Lobby aufzubauen, mit der gehandelt werden kann. In Deutschland klappt das offensichtlich sehr gut. Hier wird eher darüber diskutiert, was die Chinesen abschrecken könnte, als eigene Lösungen zur Stärkung der deutschen Wirtschaft zu entwickeln.

Einige Ökonomen weisen darauf hin, dass die billigen Produkte aus China jetzt inflationshemmend auf Europa wirken könnten. Überzeugt Sie das?

Das ist sehr kurz gedacht. Ich zahle auch gerne weniger für mein neues Kameraobjektiv. Und bei so einem Konsumgut ist das auch kein Problem. Anders ist es bei Schlüsselindustrien wie Energie oder bei Solarpaneelen. Wir können hier nicht nur den Preis anschauen und uns der Geiz-ist-geil-Mentalität hingeben. Die echten Kosten für so ein Paneel liegen viel höher. Die Preise kommen zustande, weil wir keine vergleichbaren Umweltstandards haben und Zwangsarbeit in der Lieferkette toleriert wird. Ganz zu schweigen davon, dass diese Schlüsselindustrie in Europa gleichzeitig kaputtgeht.

Was erwarten Sie für eine Reaktion aus China darauf, dass Europa und die USA diese Industrien gerade mit aller Macht zurückholen wollen?

Der europäische Weg, einige wenige Unternehmen mit Subventionen zu füttern, wird nicht reichen. Es geht um ein gesamtes Ökosystem, von Ingenieuren über Universitäten bis hin zu den Herstellern. So etwas aufzubauen, dauert normalerweise 20 Jahre - in diesem Fall sogar länger, weil seit 30 Jahren alles nach China ausgelagert wurde. Diesen Prozess des Offshoring umzukehren und neue Industrien in Europa anzusiedeln, wird viel Überzeugungsarbeit benötigen.

Und das klassische Prinzip der globalen Arbeitsteilung nach dem Ökonomen David Ricardo ist tot?

Nicht tot. Es gibt aber bestimmte Produkte, die für das Funktionieren unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften zwingend notwendig sind. Aktuell sind wir hier in drei Bereichen abhängig: Rohstoffe, industrielle Vorproduktion und Profite für Großunternehmen. Wenn mir an einem souveränen Staat gelegen ist, muss ich diese Abhängigkeiten zu China reduzieren.

Wie soll das funktionieren? Das gibt doch einen riesigen Aufschrei.

Ja, das geht nur mit aktiver Industriepolitik. Und ich rede hier nicht nur von Subventionen, sondern von vorausschauender Industriepolitik - einer Politik, bei der die Zukunftsindustrien in Deutschland und Europa entschieden werden, und danach, wie der Staat gute Leitplanken hierfür setzen kann.

Mit Andreas Fulda sprach Jannik Tillar

Das Interview erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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