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Warum sind die Vögel aggressiv? Raben hacken Gänse und Kälber in Brandenburg tot

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Kolkraben zählen zu den intelligentesten Vögeln.

Kolkraben zählen zu den intelligentesten Vögeln.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Auf einem Bauernhof in Brandenburg spielen sich schreckliche Szenen ab: Kolkraben greifen Gänse an. Sie stürzen sich auch auf kalbende Mutterkühe und hacken auf deren Neugeborene ein. Die Landwirte sind verzweifelt. Und Fachleute suchen nach Ursachen für das aggressive Verhalten der Vögel.

Es klingt wie aus Alfred Hitchcocks Horror-Meisterwerk "Die Vögel": Im brandenburgischen Finsterwalde terrorisieren Kolkraben regelmäßig einen Bauernhof. Die Landwirtin Kerstin Pezda der Massener Höfe hat laut RBB vergangenes Jahr Tausende verendete Gänse entsorgen müssen, die von den aggressiven Vögeln totgehackt worden seien. In einem Interview mit dem Sender klagt sie: "An Himmelfahrt und Ostern (2023, Anm. d. Red.) war das extrem, als die Tiere sich auf die Gänse stürzten und ein Schlachtfeld hinterlassen haben. Der Kolkrabe geht von hinten an die Gans ran, pickt sie langsam auf." Danach leben die Gänse noch eine Weile weiter, ehe sie kläglich verenden.

Doch nicht nur Gänse fallen den Raben zum Opfer. Sie attackieren auch weitaus größere Tiere. Landwirt Bernd Große, Geschäftsführer der Massener Höfe, berichtet von Luftangriffen auf Kühe, während diese ihre Kälber gebären. "Wenn die Kuh liegt und presst und das Kalb kommt mit dem Kopf, dann sind die Raben so schlau: Dann sitzen die oben und hacken die Augen aus", sagt er dem RBB. Sie würden nur die Weichteile des Kalbes nehmen. "Sie hacken After und Nabel auf und holen die Gedärme raus."

"Es werden immer mehr Kolkraben", erklärt Große. Auch würden die Tiere voneinander lernen und regelrecht auf die Geburten der Kälber warten. Da die Kolkraben unter Artenschutz stehen, sind den Landwirten im Kampf gegen die Vögel weitestgehend die Hände gebunden. Nur einzelne Tiere dürfen mit Genehmigung abgeschossen werden. Auch Vergrämungsmaßnahmen seien bei den intelligenten Kolkraben meist erfolglos, so die Bauern. So hätten sich die Raben an eine Lautsprecheranlage mit Störgeräuschen und eine Schreckschussanlage sehr schnell gewöhnt.

"Junggesellentrupp" sorgt für Ärger

Doch wo kommen die Kolkraben her? Wieso gibt es gerade um den Hof von Pezda und Große so viele von ihnen? Und warum sind die Vögel so aggressiv?

"Eine in der Nähe gelegene Müllsortierungsanlage könnte die Ursache sein", sagte Landwirtin Pezda dem "Spiegel". Diese bietet schließlich eine attraktive Futterquelle für die Vögel und der umliegende Wald einen sicheren Brutplatz. Kolkraben sind Allesfresser. Laut dem Naturschutzbund NABU stehen in erster Linie Aas und Hausabfälle auf dem Speiseplan. Doch sie fressen demnach auch Samen, Früchte, Getreide, Eier, Reptilien, Amphibien - und eben auch Kleinsäuger. Gänsefleisch und Kalbsinnereien der Massener Höfe scheinen also für die Raben schmackhafter zu sein als der Abfall auf der Mülldeponie.

"Aktuelle Probleme mit Kolkraben an der genannten Anlage sind uns nicht bekannt", teilt der Landkreis aktuell auf Nachfrage des "Spiegel" mit. Und die Anzahl der Kolkraben habe sich auch nicht vergrößert. Vielmehr handelt es sich der Behörde zufolge um einen sogenannten "Junggesellentrupp", also nicht brütende Kolkraben, die sich zeitweise in großen Trupps zusammenschließen und gemeinsam jagen.

Der Landwirtschaftsbetrieb musste inzwischen Konsequenzen ziehen: Die kurz vor der Kalbung stehenden Mutterkühe wurden auf eine andere Weide in zehn Kilometer Entfernung verlagert. Die Gänsezucht wurde komplett eingestellt.

Raben gehen auch auf Lämmer

Die Massener Höfe sind dabei kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Berichte über Verluste bei Weidetieren durch Angriffe von "Horror-Raben", wie sie gerne in den Medien bezeichnet werden. So klagten bereits vor einigen Jahren schwäbische Bauern, dass Raben über ihre Herden herfallen und Lämmer tot picken.

Auch hier wurden "Jungesellenverbände" verantwortlich gemacht. Warum sie das tun, ist ebenso unklar, wie die Frage, warum Pickverletzungen nur an einigen Orten im Land auftreten, sagte der Hamburger Ornithologe Veit Hennig damals der dpa. Verendete Tiere, liegen gebliebene Nachgeburten, offen liegendes Kraftfutter könnten für die Kolkraben Gründe sein, sich an eine Herde zu binden, vermutet der Experte.

Intelligent, sozial und gefräßig

Der Kolkrabe ist mit einer Körperlänge von bis zu 65 Zentimetern und einer Flügelspannweite von etwa 1,20 Metern der größte Vertreter der europäischen Rabenvögel. Zudem zählt er zu den intelligentesten Vögeln überhaupt. Denn die Tiere reagieren erstaunlich flexibel auf Herausforderungen und haben Traditionen. Das bedeutet, sie geben neu erworbene Kenntnisse und Techniken an Artgenossen weiter. Außerdem sind Raben sehr soziale Tiere, die nicht nur ihren Brutpartner sehr genau kennen, sondern auch ihre Artgenossen in der näheren Umgebung.

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Die Tiere benötigen eine besonders eiweiß- und kohlenhydrathaltige Kost, um ihre enorm hohe Stoffwechseltemperatur von 42 Grad aufrechterhalten zu können. Pro Kilo Körpergewicht verbrennen sie das Zehnfache des Menschen an Energie. Kein Wunder also, dass die Tiere die Nähe zum Menschen suchen, denn in seiner Nähe finden sie entsprechende Abfälle oder wie zum Leidwesen von Bauern auch Frischfleisch.

Im 19. Jahrhundert wurde der Kolkrabe in Europa als Jagdschädling intensiv verfolgt. Um 1940 galt der Vogel in weiten Teilen Mitteleuropas als ausgestorben. Durch die nachlassende Verfolgung erholten sich die Bestände wieder. Das Bundesnaturschutzgesetz zählt den Kolkraben zu den in Deutschland besonders geschützten Arten. Im Bundesjagdgesetz wird er zwar als jagdbare Art gelistet, doch es gilt eine ganzjährige Schonzeit.

Quelle: ntv.de

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